Rathaus
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Lehr-Fallstudien: Haushaltskonsolidierung

Die finanzielle Situation der deutschen Kommunen hat sich in den letzten Jahren unterschiedlich entwickelt. Während einige Kommunen von der vergleichsweise stabilen Lage in Deutschland profitieren, wachsen in anderen Kommunen die Schulden weiter. Insbesondere strukturschwache, ländliche Regionen sind nicht nur vom anhaltenden ökonomischen Strukturwandel, sondern zunehmend auch von Konsequenzen des demographischen Wandels betroffen. Während eine Konsolidierung des Haushalts Voraussetzung für den Erhalt der kommunalen Handlungsfähigkeit ist, erfordert die Anpassung an die Veränderung der sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen zusätzliche Ressourcen. Die Lehrfallstudie zeigt anhand des empirischen Falls der niedersächsischen Stadt Vienenburg die typischen Probleme einer solchen Situation und diskutiert mögliche Lösungen. Der Fall ist insbesondere für die Bearbeitung im Rahmen von verwaltungs-, staats- und politikwissenschaftlichen Studiengängen geeignet.

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Ausgangssituation: Der Tag nach der Kommunalwahl

Am 12.09.2011, einen Tag nach den Kommunalwahlen in Niedersachsen, blickte die Bürgermeisterin der Stadt Vienenburg, Astrid Eltner, durch das Fenster ihres Dienstzimmers im blau gestrichenen Rathaus hinüber auf den bewaldeten Höhenzug des Harly. In den letzten 20 Jahren hatte sich die Situation in Vienenburg maßgeblich verändert. Wichtige Unternehmen hatten die Stadt verlassen, die Bevölkerung war zurückgegangen. Durch das wachsende Defizit im Haushalt waren die Gestaltungsmöglichkeiten in den letzten Jahren immer weiter geschrumpft. Der erste doppische Haushaltsplan im Jahr 2010 machte die dramatische Situation deutlich. Vienenburg hatte, bei einem jährlichen Haushaltsvolumen von ca. 12 Mio. €, mittlerweile Schulden in Höhe von mehr als 11 Mio. €. Die Bürgermeisterin zog am Ende ihrer Rede zum Haushalt 2010 ein ernüchterndes Resümee:

„Der erste Haushaltsplan auf der Grundlage des Neuen Kommunalen Rechnungswesens der Stadt Vienenburg lässt deutlich erkennen, dass ein Haushaltsausgleich durch die zusätzlich zu erwirtschaftenden Abschreibungen und die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise noch schwieriger als in den vergangenen Jahren sein wird. Die weitere Entwicklung wird durch die zu finanzierenden kameralen Defizite aus Vorjahren erschwerend belastet. Die kameralen Sollfehlbeträge werden in der Eröffnungsbilanz als Minusbetrag unter dem Reinvermögen auszuweisen sein. Ein Abbau der aufgelaufenen Defizite kann nur erreicht werden, wenn die Stadt Vienenburg sich auf ihre Kernaufgaben konzentriert und sich in künftigen Jahren dem Anpassungsbedarf aufgrund der Bevölkerungsentwicklung stellt.“[1]

Das Dilemma war also deutlich erkennbar: Wie sollten Daseinsvorsorge und ein akzeptabler Standard öffentlicher Leistungen gesichert, die städtische Infrastruktur an die Auswirkungen des demographischen Wandels angepasst und gleichzeitig die kommunale Handlungsfähigkeit erhalten oder sogar der Haushalt konsolidiert werden?

Die Zukunft Vienenburgs musste in den nächsten Monaten intensiv diskutiert werden und es mussten auch schnell Lösungen gefunden werden. Die Bürgermeisterin beschloss, sich dieser Herausforderung zu stellen. Die Sitzverteilung im neuen Rat (vgl. auch Abbildung 4) war unübersichtlicher geworden; mittlerweile waren fünf Parteien im Rat vertreten. Die notwendigen Veränderungen waren aber sicher nur mit breiten Mehrheiten zu realisieren – und, wenn überhaupt, dann zu Beginn der neuen Legislaturperiode. Eines war klar: Die Zeit drängte. Bis zu den ersten Sitzungen von Rat und Verwaltungsausschuss[2] mussten ein Überblick über mögliche Handlungsalternativen und ein erster Vorschlag zu deren Bewertung vorliegen.

Informationen zur Bearbeitung, Teil I
Vienenburg liegt im Harzvorland, im Landkreis Goslar, im Südosten Niedersachsens. Die Region ist sehr unterschiedlich geprägt, gilt aber insgesamt als eher strukturschwach und verzeichnet in den letzten Jahren einen deutlichen Bevölkerungsrückgang.[3]

Geographische Lage

Im Süden von Vienenburg liegt der bekannte Kurort Bad Harzburg mit ca. 22.000 Einwohnern und einem breiten touristischen Angebot. Westlich grenzt Vienenburg an die Kreisstadt Goslar mit ca. 41.000 Einwohnern. Das Erzbergwerk Rammelsberg wird von der UNESCO zu den Weltkulturerbestätten gezählt. Neben weiteren touristischen Attraktionen verfügt Goslar auch über Unternehmen mit Industrieproduktion, insbesondere im Stadtteil Oker. Nördlich von Vienenburg liegt die Gemeinde Schladen, seit 1. November 2013 Teil der Einheitsgemeinde Schladen-Werla mit ca. 9.000 Einwohnern. Schladen gehörte und Schladen-Werla gehört zum Landkreis Wolfenbüttel. Im Osten liegt die Stadt Osterwieck, die zum Landkreis Harz gehört und bereits im Bundesland Sachsen-Anhalt liegt. Osterwieck hat ca. 12.000 Einwohner. Die Grenze zwischen Vienenburg und Osterwieck war bis 1990 auch Grenze zwischen der BRD und der DDR.

Bevölkerungsentwicklung

Nach dem zweiten Weltkrieg wuchs Vienenburg zunächst durch Zuwanderung, insbesondere aus dem Osten. 1972 wurden die ehemals selbständigen Gemeinden Immenrode, Lengde, Lochtum, Weddingen und Wiedelah Teil der Stadt Vienenburg, die nun ca. 13.000 Einwohner zählte.[4] Die Bevölkerung ging seit dieser Zeit kontinuierlich zurück. Um das Jahr 2000 hatte Vienenburg ca. 11.500 Einwohner, 2012 nur noch ca. 10.500. Bis 2030 soll die Bevölkerung um weitere 17.3% auf nur noch ca. 8.900 Einwohner abnehmen (s. Abbildung 1).

Wirtschaftliche Entwicklung

Trotz der Lage im „Zonenrandgebiet“, direkt an der Grenze zwischen Bundesrepublik und DDR, verfügte Vienenburg in den 1980er Jahren über eine vergleichsweise gute wirtschaftliche Struktur. Nach der Wiedervereinigung 1990 verschlechterte sich die Lage schnell: Teilweise nur wenige hundert Meter hinter den Stadtgrenzen boten Standorte im nahegelegenen Sachsen-Anhalt deutlich niedrigere Lohnkosten und attraktive Förderungen. Viele Unternehmen wanderten in der Folge aus Vienenburg ab.

2010 lag der Anteil sozialversicherungspflichtig Beschäftigter pro 1.000 Einwohner mit 161,6 weit unter dem Schnitt des Landkreises Goslar (294,6 Beschäftigte pro 1.000 Einwohner) und des Landes Niedersachsen (319,9 Beschäftigte pro 1.000 Einwohner), ebenso wie der steuerbare Umsatz der in Vienenburg ansässigen Unternehmen (Vienenburg 37,6 Mio. €, LK Goslar 45,4 Mio. €, Land Niedersachsen 70,8 Mio. €, jeweils pro 1.000 Einwohner).[5]
Eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation war auch aufgrund des schrumpfenden Erwerbspersonenpotenzials (steigender Altersdurchschnitt und weitere Abwanderung) nicht zu erwarten.

Wirtschaftliche Situation der Stadt Vienenburg[6]

Aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung lagen die Steuereinnahmen in den 90er Jahren beständig unter dem Niveau der 1980er Jahre, lagen aber ab 1995 immer im Bereich zwischen 5 Mio. € und 6 Mio. €. Im Jahr 2000 entschied der Rat, auf Basis der als verhältnismäßig solide erscheinenden Situation, das öffentliche Freibad für ca. 2 Mio. € komplett zu sanieren und für 1,5 Mio. € einen neuen Kindergarten zu bauen.
 
Die Wirtschaftskrise ab 2001 führte dann zu einem erheblichen Rückgang der Steuereinnahmen bis 2003. Nach 2004 stabilisierten sich die Steuereinnahmen erneut bei knapp über 5 Mio. € pro Jahr (vgl. Abbildung 2).
Seit 2002 waren die Haushalte der Stadt defizitär. Trotz verschiedener Konsolidierungsmaßnahmen gelang es nicht mehr, den Haushalt auszugleichen. Die Verschuldung ging bis 2008 zwar insgesamt zurück, nahm dann aber mit der Finanzkrise 2008 wieder deutlich zu und lag 2011 bei mehr als 11 Mio. € (vgl. Abbildung 3).

Konsolidierungsmaßnahmen und Anpassung der Verwaltungsstruktur

Nach § 110 Absatz 4 und 5 des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes (NKomVG) soll der Haushalt einer Kommune grundsätzlich in jedem Jahr, sonst spätestens im zweiten Jahr nach Verfehlung des Haushaltsausgleichs wieder ausgeglichen sein. Gelingt der Haushaltsausgleich nicht, ist ein Haushaltssicherungskonzept aufzustellen, in dem Maßnahmen beschrieben werden, die zur Wiederherstellung des Haushaltsausgleichs durchgeführt werden. Über die Fortschritte der Konsolidierung muss die Kommune der Kommunalaufsichtsbehörde auf Anforderung Bericht erstatten. Nach § 173 NKomVG kann die Kommunalaufsichtsbehörde Beschlüsse und andere Maßnahmen einer Kommune, die das Gesetz verletzen, beanstanden und so deren Umsetzung blockieren. Ist eine ordnungsgemäße Haushaltsführung nicht mehr gewährleistet, kann die Kommunalaufsichtsbehörde nach § 175 NKomVG „eine Beauftragte oder einen Beauftragten bestellen, die oder der alle oder einzelne Aufgaben der Kommune oder eines Kommunalorgans auf Kosten der Kommune wahrnimmt“. Solche „Sparkommisare“ wurden in den letzten Jahren in Nordrhein-Westfalen[7] und in Sachsen-Anhalt[8]eingesetzt. In Niedersachsen haben die Aufsichtsbehörden bislang solche Maßnahmen nicht ergriffen.

In den Jahren 2002/2003 begann die Stadt mit ersten Konsolidierungsmaßnahmen, mit denen die Ausgaben reduziert und zusätzliche Einnahmen generiert werden sollten. So verkaufte die Stadt mehrere Immobilien, schloss die Stadtteilbüchereien und reduzierte die zu pflegenden Park- und Grünflächen. 2005 wurden mit der Gründung des Stadtbetriebs Vienenburg verschiedene Reorganisationsmaßnahmen zur Kostensenkung umgesetzt. Die frei werdende Stelle der Bauamtsleitung wurde nicht wieder besetzt und insgesamt wurden die Stellen in der Verwaltung von 76,1 Vollzeitäquivalenten (VZÄ) im Jahr 2004 auf 68,4 VZÄ im Jahr 2011, also um 10% reduziert. Darüber hinaus wurden nach einer Bürgerbefragung die Ortsräte in den fünf Ortsteilen abgeschafft. Mit diesen Maßnahmen konnten Entlastungen des Haushalts in Höhe von ca. 4 Mio. € realisiert werden.

Möglichkeiten interkommunaler Zusammenarbeit waren zu verschiedenen Gelegenheiten im Rat diskutiert worden. Letztlich hatten aber immer wieder Befürchtungen überwogen, Vienenburg könnte an Autonomie einbüßen oder Leistungen würden dann eingeschränkt. Eine Zusammenarbeit der Bauhöfe war beispielsweise letztlich daran gescheitert, dass eine gemeinsame Nutzung von Maschinen und Fahrzeugen mit anderen Kommunen aufgrund ungefähr gleichzeitig anfallender Aufgaben nicht als sinnvoll erschien.

Politische Situation in Vienenburg

Neben der Bürgermeisterin und dem Rat war der Verwaltungsausschuss (VA) nach § 74 Abs. 2 NKomVG ein wichtiges Lenkungsgremium der Stadt Vienenburg. In Vienenburg bestand der VA aus der Bürgermeisterin, sechs Beigeordneten sowie dem allgemeinen Vertreter der Bürgermeisterin. Die sechs Beigeordneten waren der Fraktionsvorsitzende der SPD, der stellvertretende Bürgermeister der SPD, der Fraktionsvorsitzende der CDU, die stellvertretende Bürgermeisterin der CDU, der Fraktionsvorsitzende der Bürger für Vienenburg sowie der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grün-Alternativen Wählergemeinschaft.

Zu den Aufgaben des Verwaltungsausschusses nach § 76 NKomVG gehörte es, die Ratsbeschlüsse vorzubereiten und den Rat zu kontrollieren. Darüber hinaus übernahm der VA in Vienenburg Aufgaben des Rates, die an ihn delegiert wurden sowie alle Aufgaben für die keine Zuständigkeit eines anderen Gemeindeorgans bestand.
 
Nach der Kommunalwahl am 11. September 2011 waren im Rat der Stadt Vienenburg fünf Parteien vertreten.

Die SPD, der auch die Bürgermeisterin angehörte, verfügte über zehn Sitze und war damit nach wie vor stärkste Partei im Rat. Die SPD hatte bislang Wert darauf gelegt, die Leistungen der Stadt, insbesondere auch im freiwilligen Bereich, zu erhalten. Kürzungen insbesondere bei der Unterstützung von Vereinen und Verbänden, in der Jugendarbeit sowie bei der Förderung der Seniorenarbeit und des Sportes lehnte die SPD ab. Ein Sparpotenzial sah die SPD vor allem bei Ausgaben für die verschiedenen Schulstandorte und bei der Verkehrsförderung. Außerdem hatte die Fraktion in den letzten Jahren immer wieder angeregt, über eine Stärkung der interkommunalen Zusammenarbeit nachzudenken.

Die CDU verfügte über acht Sitze und war nach wie vor zweitstärkste Partei in Vienenburg. Die CDU Fraktion hielt einen Haushaltsausgleich durch die Realisierung von weiteren Einsparungen für möglich, wollte aber nach Möglichkeit auch keine weiteren Einschränkungen des städtischen Leistungsangebots und der Unterstützungen für Vereine hinnehmen. Die bisherigen Haushalte wurden von der CDU als vernünftige Kompromisse zwischen notwendigen Investitionen und Schuldenabbau weitgehend mitgetragen.

Die Bürger für Vienenburg (BfV) waren 2011 erstmals mit fünf Sitzen in den Stadtrat von Vienenburg eingezogen. Die BfV hatten zuvor moniert, dass die letzten Haushalte mit ihrer Unterdeckung nicht den rechtlichen Vorgaben entsprächen. Im Wahlkampf hatten die BfV auf einen Anteil freiwilliger Leistungen im Haushalt von ca. 4 % verwiesen, letztlich diese Ausgaben aber auch nicht in Frage gestellt. Konsolidierungsmöglichkeiten sahen sie vor allem durch die Nutzung der Möglichkeiten interkommunaler Zusammenarbeit. 

Die Grün-Alternative Wählergemeinschaft (GAW) war mit zwei Sitzen im neuen Stadtrat vertreten. Die GAW sah das interne Konsolidierungspotenzial als weitgehend „ausgereizt“. Im Wahlkampf hatte die GAW deutlich gemacht, dass aus ihrer Sicht die Stadt bereit sein müsse, neue Schulden zu machen, um ihren Aufgaben der Daseinsvorsorge nachzukommen. Interkommunale Zusammenarbeit sei allenfalls mittel- bis langfristig eine Möglichkeit, den Kostendruck etwas zu reduzieren. Letztlich setzte die GAW vor allem auf Hilfen des Landes zur Entschuldung bzw. zur Reduzierung der Schuldenlast. 
Die NPD war erneut mit einem Sitz im Rat vertreten. Der NPD-Abgeordnete hatte gegen alle bisherigen Haushalte gestimmt und bezog eine Fundamentalopposition ohne erkennbare reale Politikoption. Substanzielle Vorschläge zur Konsolidierung des Haushaltes hatte die NPD nicht eingebracht.

Landespolitische Rahmenbedingungen

Die Landesregierung hatte seit Mitte der 2000er verschiedene Maßnahmen ergriffen, um den kommunalen Finanzausgleich an regionale Disparitäten und die Auswirkungen des demographischen Wandels anzupassen.[9] Tatsächlich hat sich die durchschnittliche Verschuldung der kommunalen Ebene in Niedersachsen bis 2008 reduziert, wobei allerdings die regionalen Unterschiede weiterhin zugenommen haben.[10] Ende der 2000er gab die Landesregierung ein Gutachten zu den kommunalen Strukturen des Landes in Auftrag, in dem verschiedene Maßnahmen zur Verbesserung der räumlichen Entwicklung vorgeschlagen wurden.[11]  Insbesondere wies dieses Gutachten explizit auf „gravierende, sich tendenziell verschärfende Haushaltsprobleme“ in Kommunen des Landkreises Goslar hin und skizzierte Möglichkeiten interkommunaler Zusammenarbeit oder verschiedener Fusionsszenarien.[12]

Bereits im Dezember 2009 hatte die Landesregierung beschlossen, neben den bestehenden Möglichkeiten einer interkommunalen Zusammenarbeit nach dem Niedersächsischen Gesetz über kommunale Zusammenarbeit (NKomZG),[13] auch Anreize für freiwillige Gebietsfusionen zu schaffen. Die Landesregierung schloss mit den kommunalen Spitzenverbänden einen „Zukunftsvertrag“,[14] der strukturschwachen Kommunen die Möglichkeit geben sollte, unter bestimmten Voraussetzungen Entschuldungshilfen des Landes in Anspruch zu nehmen, um ihren Haushalt zu konsolidieren. Mittel aus diesem Zukunftsvertrag standen insbesondere Kommunen zur Verfügung, die bereit waren, mit anderen Kommunen zu fusionieren. Dieser Vertrag wurde im Rahmen einer gesetzlichen Änderung des Niedersächsischen Gesetzes über den Finanzausgleich durch die Einfügung eines neuen § 14a umgesetzt.[15] Die gesetzlichen Regelungen ermöglichten eine Übernahme von bis zu 75 % der Kassenkreditschulden durch das Land.

Die Tageszeitung taz berichtete unter dem Titel „Bei Hochzeit Prämie“ über die Möglichkeiten des Zukunftsvertrags,[16] eine durchaus positive Interpretation im Vergleich zu den „Zwangsfusionen“, die wenig später von der damals noch regierenden Landes-CDU als ultima ratio thematisiert wurden.[17] Insgesamt war das Drohpotential des Landes Niedersachsen gegenüber den Kommunen sicherlich nicht so stark, wie in Nordrhein-Westfalen oder auch in Sachsen-Anhalt, wo bereits in einigen Fällen „Sparkommissare“ in Kommunen eingesetzt worden waren.[18] Insbesondere das bereits erwähnte „Hesse-Gutachten“[19] hatte aber in vielen Kommunen die Befürchtung geweckt, eine weitere Gebietsreform stünde unmittelbar bevor.

Aufgaben zur Bearbeitung, Teil I

 

  1. Sie sollen die Bürgermeisterin bei der Vorbereitung der nächsten Sitzungen des Verwaltungsausschusses und des Rates beraten. Analysieren Sie zunächst die Ausgangssituation: 
    Welche grundsätzlichen Handlungsoptionen hat Vienenburg?
  2. Die Bürgermeisterin will das „window of opportunity“ zu Beginn der neuen Legislaturperiode unbedingt nutzen, und grundsätzliche Entscheidungen für eine zukünftige Konsolidierung herbeiführen. Die möglichen, idealtypischen Konsolidierungsstrategien sollen dazu von Ihnen genauer untersucht werden:

Arbeiten Sie die drei bestehenden Konsolidierungsoptionen so konkret wie möglich heraus und analysieren Sie deren Vor- und Nachteile.

  • Entwickeln Sie eine Entscheidungsmatrix, mit der Sie Ihre Handlungsoption im Vergleich zu den anderen analysieren.
  • Analysieren Sie die Akteurskonstellation: Welche Akteure sind für eine Entscheidung relevant und welche Ziele verfolgen diese Akteure?
  • Gibt es „Vetospieler“ oder für die Entscheidung besonders relevante Akteure?
  • Welche Empfehlung geben Sie dem Verwaltungsausschuss? 

Bereiten Sie eine überzeugende Präsentation der von Ihnen untersuchten Konsolidierungsstrategie mit einer klaren Empfehlung vor. Die Präsentation soll nicht länger als 15 Minuten dauern.
 

Informationen zur Bearbeitung, Teil II

Verschiedene Analysen und Berechnungen zu den endogenen Konsolidierungspotenzialen durch Einschränkungen von Leistungen oder Erhöhung von Steuern und Abgaben hatten im Herbst 2011 deutlich gemacht, dass eine echte Verbesserung der finanziellen Situation nur durch eine Kombination von deutlichen und für die Bürgerinnen und Bürger einschneidenden Veränderungen zu erreichen war. Auch die Potenziale interkommunaler Zusammenarbeit für eine Konsolidierung waren kurzfristig nicht groß. Die Realisierung von Formen interkommunaler Zusammenarbeit mit höheren Konsolidierungswirkungen war nur mittel- bis langfristig möglich sowie mit erheblichen Risiken und Transaktionskosten verbunden.

Als Ergebnis der Diskussionen im Rat und im Verwaltungsausschuss wurde die Bürgermeisterin Ende des Jahres 2011 beauftragt, Kontakt mit benachbarten Kommunen sowie mit dem Ministerium für Inneres und Sport des Landes Niedersachsen aufzunehmen, mit dem Ziel, Mittel aus dem Entschuldungsfonds nach § 14a NFAG für die Haushaltskonsolidierung in Vienenburg zu nutzen.[20] Aus den Abstimmungen mit den Verwaltungsleitungen der Nachbarkommunen wurde deutlich, dass lediglich die Stadt Goslar Interesse an weiterführenden Gesprächen hatte und prinzipiell einer Fusion offen gegenüberstand. Ein Briefwechsel mit dem Innenministerium ergab, dass die Stadt Vienenburg alleine die Voraussetzungen zur Inanspruchnahme einer Entschuldungshilfe nach § 14a NFAG nicht erfüllen würde. Auf die Möglichkeit, Entschuldungshilfen nach Umsetzung entsprechender Gebietsänderungen gemeinsam mit anderen Kommunen zu beziehen, wurde jedoch explizit verwiesen.[21] 

Aufgaben zur Bearbeitung, Teil II

Aufgrund Ihrer Leistungen in der ersten Projektphase werden Sie von der Bürgermeisterin gebeten, auch die Umsetzung der geplanten Fusion zu begleiten.
Entwickeln Sie ein mögliches Vorgehen zur Umsetzung einer Fusion der Städte Goslar und Vienenburg, bei der die Stadt Vienenburg Teil der Stadt Goslar wird. Analysieren Sie die Ausgangssituation genau und entwickeln Sie auf dieser Basis eine Vorstellung von einem möglichen Ablauf des Projektes. 
Um alle Projektschritte und Erfolgsfaktoren im Blick zu haben, können Sie für die Bedarfsanalyse und die Planung bspw. den ReformKompass der Bertelsmann-Stiftung (www.refomkompass.de) benutzen.
Machen Sie anschließend Vorschläge für

  1. eine Projektorganisation
  2. einen Projektplan mit Meilensteinen
  3. eine Übersicht über die gesetzlich bzw. vertraglich zu regelnden Themen.