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Lehr-Fallstudien: StädteRegion Aachen

Der Wettbewerb der Kommunen um Einwohner und attraktive Standorte für Unternehmen hat in den letzten Jahren immer weiter zugenommen. Gleichzeitig nehmen die Interdependenzen mit den räumlichen Nachbarn und Regionen deutlich zu. Durch die Globalisierung werden die Distanzen immer geringer; jedoch nimmt damit auch der Wettbewerb mit überregionalen Konkurrenten zu. Nicht selten konkurrieren Kommunen inzwischen mit globalen Standorten. Dabei müssen Kommunen immer stärker versuchen, Synergieeffekte mit ihren Nachbarkommunen zu nutzen. Neben verstärkter interkommunaler Zusammenarbeit bieten Gebietsreformen die Möglichkeit, Synergieeffekte nachhaltig zu nutzen, um so die Wettbewerbsfähigkeit dauerhaft zu erhöhen. Im vorliegenden Beispiel gründete die Stadt Aachen mit dem Landkreis Aachen die StädteRegion Aachen. Der Zusammenschluss war nicht geprägt durch die akute Not der Kommunen, sondern durch den Wunsch, sich dem anhaltenden ökonomischen Strukturwandel zu stellen und um sich besser auf den demographischen Wandel vorzubereiten. Durch die Gründung der StädteRegion wurde ein Kommunalverband besonderer Art gegründet, wovon es in Deutschland bisher nur wenige gibt. Neue Strukturen wurden geschaffen und neue Herausforderungen für die Kooperation der Kommunen sind entstanden. Die Lehrfallstudie zeigt anhand des empirischen Falls der StädteRegion die Probleme einer solchen Situation und diskutiert mögliche Lösungen. Der Fall ist insbesondere für die Bearbeitung im Rahmen von verwaltungs-, staats- und politikwissenschaftlichen Studiengängen geeignet.

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2009-2014: Fünf Jahre StädteRegion Aachen

„(1) Aus den Gemeinden des Kreises Aachen und der Stadt Aachen wird mit Wirkung vom 21. Oktober 2009 als neuer Gemeindeverband die Gebietskörperschaft Städteregion Aachen gebildet. Der Kreis Aachen wird mit Ablauf des 20. Oktober 2009 aufgelöst.
(2) Das Gebiet der Städteregion Aachen besteht aus dem Gebiet der zu ihr gehörenden Gemeinden.“[1]

Am 21. Oktober 2009 wurden entsprechend § 1 des „Städteregion Aachen Gesetzes“ vom 26. Februar 2008 die kreisfreie Stadt Aachen und der Kreis Aachen mit den Städten Alsdorf, Baesweiler, Eschweiler, Herzogenrath, Monschau, Stolberg und Würselen sowie den Gemeinden Roetgen und Simmerath zum Gemeindeverband Städteregion Aachen – in der Eigenschreibweise StädteRegion Aachen – zusammengeschlossen. Die StädteRegion Aachen wurde Rechtsnachfolgerin des Kreises Aachen. Die Stadt Aachen wurde „städteregionsangehörige Stadt“, behielt aber rechtlich den Status einer kreisfreien Stadt.[2]

Die Gründung der StädteRegion war Konsequenz einer längeren Entwicklung, in der seit den 1990er Jahren die Kooperationsbeziehungen zwischen der Stadt Aachen und dem angrenzenden Kreis Aachen immer enger geworden waren.  Die „Geburt der StädteRegion“ wurde am 24. und 25. Oktober mit verschiedenen Veranstaltungen gefeiert.[3] Der Städteregionstag, Nachfolger des Kreistags des Kreises Aachen, war bereits am 30. August 2009 gewählt worden. Erster Städteregionsrat wurde der CDU-Politiker und bisherige Kreisdirektor des Kreises Aachen, Helmut Etschenberg.[4]

Die StädteRegion Aachen ist ein „Kommunalverband besonderer Art“, ähnlich der Region Hannover (gegründet 2001) und dem Regionalverband Saarbrücken (seit 2008, gegründet 1974 als Stadtverband). Ziel der StädteRegion ist es,

„den Lebensraum Aachen zukunftsfähig zu machen und für den Wettbewerb der europäischen Regionen zu rüsten. Die StädteRegion soll dazu die Kräfte von Stadt, Kreis und kreisangehörigen Kommunen bündeln, die vorhandenen Potentiale entwickeln, die besonderen Standortfaktoren fördern, vor allem aber Fortschritt und Entwicklung sowie wirtschaftliches Wachstum garantieren. Die angestrebte Zusammenarbeit ist kein Selbstzweck, sondern sie steht ausschließlich im Dienst der Menschen, die hier leben.“[5]

Die StädteRegion hat ca. 544.000 Einwohner, von denen etwa 241.000 in der Stadt Aachen wohnen.[6] Mit ihrer Gründung hatte die StädteRegion nicht nur die Aufgaben des Kreises Aachen, sondern auch etliche Aufgaben der Stadt Aachen, insbesondere in den Bereichen Jugend und Bildung, Soziales, Ordnungs- und Ausländerwesen, Veterinär- und Gesundheitswesen, übernommen. Durch die Neustrukturierung der Verwaltung sollten auf Basis der Daten des Jahres 2005 die Sach- und Personalkosten der StädteRegion bis 2009 um 3% und bis 2015 um 10% reduziert werden. Ab 2010 sollten die realisierten Entlastungen insbesondere eine Reduzierung der Regionsumlage ermöglichen.[7]

Vor allem aber sollte die Gründung der StädteRegion neue Impulse für die regionale Entwicklung bringen und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit den belgischen und niederländischen Nachbarregionen fördern. Mit der Wiedervereinigung war die Region, obwohl im Zentrum Europas gelegen, aus Sicht vieler kommunalpolitischer Akteure an den Rand gedrängt worden. Im Wettbewerb mit Köln und Düsseldorf, dem Ruhrgebiet, den anderen Metropolregionen und den wieder erstarkenden Wirtschaftsstandorten in Ostdeutschland, erschien die StädteRegion vielen als einzige Chance, Anschluss an die nationale und europäische Entwicklung zu halten. Aus der „zentralen Randlage“ sollte ein Wettbewerbsvorteil entstehen – durch eine stärkere Integration der Region Aachen und eine Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit.[8]

Fünf Jahre später, am 30.10.2014, zog Städteregionsrat Helmut Etschenberg in seiner Rede zur Einbringung des Doppelhaushalts 2015/2016 ein zumindest aus finanzieller Sicht ernüchterndes Resümee: Die Verschuldung pro Einwohner sei in der StädteRegion Aachen weiter gestiegen,[9] die Ausgleichsrücklage von einstmals 57,3 Mio. € aufgebraucht. Etschenberg führte dies im Wesentlichen auf einen Anstieg der Sozialausgaben zurück. Die Regionsumlagen aus den Kommunen reichten zur Finanzierung der Aufgaben der StädteRegion nicht mehr aus. Die „Unterfinanzierung“ der Städte Alsdorf, Eschweiler, Stolberg und Würselen werde durch Zahlungen der Kommunen Roetgen, Monschau, Simmerath, Herzogenrath und Baesweiler „subventioniert“.[10] Neben der Forderung nach einer Reform der Kommunalfinanzen machte Etschenberg deutlich, dass Konsolidierungspotenzial vor allem auch bei den Kommunen bestehe:

„Konkrete inhaltliche Vorschläge in den Stellungnahmen der Kommunen halten sich in Grenzen. Pauschal zu fordern, " ... die StädteRegion sollte auch mal bei sich sparen...", ist für mich billige Polemik!“[11]
Die StädteRegion habe bereits erhebliche Einsparungen realisiert. Weitere Strukturveränderungen seien aber notwendig und zum Beispiel in folgenden Bereichen auch in Zukunft zu diskutieren:

  • Zusammenlegung von Bildungseinrichtungen, z.B. von Schulen des zweiten Bildungsweges
  • Finanzierung der Altenpflege-Ausbildung
  • Freiwillige Dienstleistungen der StädteRegion für die Kommunen, so z.B. Gutachten, Konferenzen u.ä.
  • Prüfung der Unterkunfts-Leistungen des Job-Centers
  • Einsparungen bei der Unterstützung von Trägern der freien Wohlfahrtspflege.[12] 

Die regionsangehörigen Gemeinden reagierten ihrerseits mit deutlicher Kritik an der seit 2009 merklich gestiegenen Regionsumlage und forderten die Region auf, zum Beispiel Personalkosten und Öffentlichkeitsarbeit zu reduzieren.[13]

Seit 2010 hatten sich Differenzen zwischen der StädteRegion Aachen und der Stadt Aachen insbesondere über die Abgrenzung von Verantwortungen und Kompetenzen entwickelt. Aufgrund des Status als kreisfreie Stadt beanspruchte Aachen eine Sonderstellung unter den Städten der StädteRegion. In einem sogenannten „15-Punkte-Papier“ hatten der Oberbürgermeister der Stadt Aachen, Marcel Philipp (CDU), und Städteregionsrat Etschenberg festgestellt, die entstandenen Konflikte seien „nicht juristisch, sondern pragmatisch zu lösen“.[14]

Wirtschaftliche Synergien und die Hoffnung auf neue Entwicklungspotenziale sind, wie auch in der StädteRegion Aachen, oftmals Treiber für Kooperationen und Fusionen auf kommunaler Ebene.[15] Mit der resultierenden Zentralisierung nehmen aber auch Koordinationsaufwände zu und Mechanismen der Konfliktlösung werden verändert oder gehen verloren. Ebenso wenig wie Fusionen im privatwirtschaftlichen Bereich[16] sind Kooperationen, Zusammenlegungen oder Fusionen auf kommunaler Ebene „Selbstläufer“. Die Realisierung hypothetischer Synergien auf neuen Ebenen der Kooperation erfordert in jedem Fall eine komplexere Form der Interessenvermittlung und Konfliktbearbeitung. Oft gehen aber große Visionen und Erwartungen in der zähen Interessenkoordination, die auf Fusionen meist folgt, unter.

Dossier: Die Entwicklung der StädteRegion Aachen

Geographische Lage


Die StädteRegion Aachen liegt im südwestlichen Nordrhein-Westfalen und grenzt sowohl an die Niederlande als auch an Belgien. Aachen ist die westlichste Großstadt Deutschlands und mit ca. 241.000 Einwohnern die größte Stadt der StädteRegion. Tabelle 1 auf der folgenden Seite gibt einen Überblick über die regionsangehörigen Städte und Gemeinden sowie die wichtigsten Kennzahlen.
Darüber hinaus hatte die europäische Integration für die Region eine besondere, auch symbolische Bedeutung. Die bekannte Neustraße (niederländisch Nieuwstraat) verläuft exakt entlang der Grenze zwischen dem niederländischen Kerkrade und der zur StädteRegion Aachen gehörenden Stadt Herzogenrath, die schon vor längerer Zeit räumlich zusammengewachsen sind. In der Mitte der Straße verlief u.a. während des Ersten Weltkriegs und ab 1938 ein Grenzzaun. Der Rückbau dieses Zaunes im Jahr 1968 und des ersatzweise errichteten Mäuerchens im Jahr 1993 wurden zu Symbolen der europäischen Einigung. Kerkrade und Herzogenrath schlossen sich 1998 zur „symbolischen Europastadt“ Eurode zusammen. In den Niederlanden hatte sich die Nachbarregion bereits Ende der 1990er Jahre zur „Parkstad Limburg“ zusammengeschlossen. Auch in Belgien hatte 2005 mit dem „Marshallplan Wallonie“ ein Prozess der räumlichen Modernisierung durch eine Vertiefung von Kooperationsbeziehungen begonnen.

Vor dem Hintergrund der gemeinsamen Geschichte und der in den 1990er Jahren wieder dynamischeren europäischen Integration schien eine Stärkung der Zusammenarbeit zwischen der kreisfreien Stadt und dem ehemaligen Kreis Aachen sinnvoll. Die „Region Charlemagne“  und die „Euregio Maas-Rhein“  sind Leuchtturmprojekte in Europa, die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungen durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit fördern. Die StädteRegion Aachen liegt im Zentrum dieser Kooperationsprojekte. Das Logo der StädteRegion Aachen (siehe Abbildung 2) soll diese Verbundenheit mit den belgischen und niederländischen Nachbarregionen darstellen.

Geschichte und Entwicklung der Region[17]
Aachen war zur Römerzeit eine militärische Siedlung in der Nähe einiger Quellen mit heißem Thermalwasser. Karl der Große machte im neunten Jahrhundert Aachen zu seiner Residenz. In der Folgezeit wurde Aachen ein politisches Zentrum Europas. Bis 1531 wurden zahlreiche deutsche Könige und insgesamt 30 Kaiser in Aachen gekrönt. Ab dem 13. Jahrhundert entwickelte sich in Aachen eine industrielle Metallverarbeitung und eine Tuchindustrie. Im 17. Jahrhundert wurde Aachen eine Art Kurstadt, in der auch zahlreiche bedeutende Friedenskonferenzen stattfanden.
In der Neuzeit verlor Aachen allmählich seine große, überregionale Bedeutung in Europa. 1794 wurde Aachen von Frankreich besetzt und nach dem Wiener Kongress 1815/1816 Teil des Königreiches Preußen.[18] Nach dem Ersten Weltkrieg stand Aachen unter belgischer Besatzung. Die Konflikte in der Grenzregion wirkten sich zunehmend negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung Aachens aus. Im Zweiten Weltkrieg wurde Aachen durch Luftangriffe stark zerstört. Nach 1945 wuchs die Stadt Aachen schnell wieder. 1972 stieg die Einwohnerzahl von Aachen durch Eingemeindungen auf ca. 240.000 an und entwickelte sich relativ stabil. Verschiedene Unternehmen u.a. der Elektro-, Chemie- und Süßwarenindustrie haben heute Standorte in Aachen. Die 1870 gegründete Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) Aachen hat über 40.000 Studierende und ist eine der bekanntesten technischen Hochschulen in Europa sowie mit etwa 10.000 Beschäftigten auch größter Arbeitgeber der Region.
Ein Überblick über die wichtigsten Kennzahlen der Städte der StädteRegion findet sich in Tabelle 1. Der nördliche Teil der Region mit den Städten Alsdorf, Baesweiler, Eschweiler, Herzogenrath, Stolberg und Würselen ist überwiegend von einer langen Bergbautradition geprägt und verfügt heute über eine industrielle Wirtschaftsstruktur sowie ein ausgeprägtes Dienstleistungsgewerbe u.a. mit dem Schwerpunkt Forschung und Entwicklung.[19] In Alsdorf wurde bis in die 1990er Jahre Steinkohle abgebaut. Größter Arbeitgeber ist heute ein Spritzgussunternehmen. Ähnliche Strukturen finden sich auch in Baesweiler, Herzogenrath, Würselen und dem flächenmäßig deutlich größeren Stolberg. Während die Region im Norden relativ dicht besiedelt ist, nimmt die Bevölkerungsdichte nach Süden ab. Simmerath ist nur teilweise industriell und handwerklich überwiegend schon landwirtschaftlich geprägt. Roetgen, „das Tor zur Eifel“,[20] hat eher die Struktur einer Pendlergemeinde mit Naherholungsgebiet. Monschau ist ein Luftkurort in der Eifel mit einer kleineren Zahl von Industrieunternehmen.
Die Bevölkerung in der StädteRegion wird, bedingt durch den demographischen Wandel, in den nächsten Jahren leicht um ca. 3,1% (auf Basis 2013) zurückgehen,[21] obwohl Stadt und StädteRegion vermutlich weiterhin von der Zuwanderung junger Menschen, insbesondere zum Studium an der RWTH, profitieren können.

Die Entwicklung der StädteRegion Aachen
Bereits seit 1954 unterhielten der Kreis Aachen und die Stadt Aachen ein gemeinsames Abendgymnasium, seit 1964 eine gemeinsame Abendrealschule. 1993 fusionierten die Stadt- und die Kreissparkasse, seit 1997 arbeiten Stadt und Altkreis bei der Wasserversorgung, der Bekämpfung der Schwarzarbeit und beim Marketing zusammen. 2001 übernahm ein gemeinsamer Zweckverband die Aufgaben der Straßenverkehrsämter.[22]

Der Integrationsprozess, der schließlich zur Gründung der StädteRegion Aachen führte, wurde vor allem vom Aachener Oberbürgermeister Dr. Jürgen Linden (SPD) und dem Landrat des Kreises Aachen Carl Meulenbergh (CDU) vorangetrieben. Linden war seit 1989 Oberbürgermeister der Stadt Aachen und hatte wohl schon früh die Potenziale einer vertieften Kooperation mit dem Kreis erkannt. Meulenbergh war bereits seit den 1970er Jahren Mitglied des Kreistags des Kreises Aachen und seit 1990 Mitglied des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Er wurde 1994 zum Landrat des Kreises Aachen gewählt und forcierte seitdem die Zusammenarbeit mit der Stadt Aachen.

Im Oktober 2001 luden Meulenbergh, Linden und der Vorsitzende der Bürgermeisterkonferenz der kreisangehörigen Städte und Gemeinden, Bürgermeister Dr. Willi Linkens, die Kommunalpolitikerinnen und -politiker der Stadt Aachen, des Kreises und der kreisangehörigen Städte und Gemeinden zu einem „Langen Abend der Räte“ ein. Mit Bezug auf die strukturellen Veränderungen in Europa, die Globalisierung, den ökonomischen Strukturwandel und die demographische Entwicklung machten die Gastgeber deutlich, wie eine vertiefte Zusammenarbeit der Stadt und des Kreises einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Region leisten könnte. Ähnlich der Region Hannover[23] sollte die Region Aachen Gestaltungsspielräume im „Europa der Regionen“[24] eröffnen und politischen Einfluss insbesondere auch in der Landespolitik sichern. Die neue Form der vertieften Kooperation sollte auch Ausgangspunkt für eine Stärkung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit sein. Als konkrete Aufgabenbereiche mit völlig neuen Gestaltungsmöglichkeiten wurden insbesondere die Raum- und Infrastrukturplanung, der Personennahverkehr, der Umweltschutz, die Beschäftigungs- und Wirtschaftsförderung sowie die Kooperation mit den Nachbarn in der EUREGIO skizziert.
Die Argumente überzeugten eine Mehrheit der Mandatsrägerinnen und -träger: 2001 wurden der „Zweckverband Straßenverkehrsamt Aachen“ gegründet und der Schulverband auf die Berufs- und Förderschulen ausgedehnt.[25] 2004 wurde der „Zweckverband StädteRegion Aachen“ zur Koordination der interkommunalen Zusammenarbeit – als Vorläufer der Verwaltung der StädteRegion – gegründet.[26] Aufgrund gesetzlicher Vorbehalte zur Übertragung von mehreren Pflichtaufgaben auf Zweckverbände wurden dem Zweckverband zunächst lediglich folgende freiwillige Aufgaben zur Wahrnehmung für Stadt und Kreis übertragen:

  • Wirtschaftsförderung
  • Standortmarketing
  • Akquisition europäischer Fördermittel
  • Betreuung von Netzwerken und Projekten
  • Öffentlichkeitsarbeit
  • Tourismus.[27]

Die Verbandskonferenz sollte darüber hinaus den weiteren Prozess zur Vertiefung der Zusammenarbeit in der StädteRegion begleiten.[28] Tabelle 2 gibt einen Überblick über die wichtigsten Schritte bis zur Verabschiedung des Aachen-Gesetzes.

Mit der Aufsichtsbehörde, der Bezirksregierung Köln, war man sich zunächst uneinig, ob Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung auf Zweckverbände übertragen werden könnten und inwiefern Mehrzweckverbände zulässig seien. Da auch Entscheidungsträger in der Region Zweifel an der Zulässigkeit von Mehrzweckverbänden vorgebracht hatten, wurde in den weiteren Abstimmungen schnell deutlich, dass für den geplanten regionalen Zusammenschluss eine landesgesetzliche Sonderregelung eher geeignet wäre, als eine Regelung im Rahmen des Gesetzes über kommunale Gemeinschaftsarbeit.[30] Mit der angestrebten gesetzlichen Regelung würde die StädteRegion ein unmittelbar demokratisch legitimierter Aufgabenträger bzw. ein Gemeindeverband im Sinne des Grundgesetz-Artikels 28 sein und an die Stelle des Kreises treten.
Im Juni 2005 wurden die entsprechenden Beschlüsse im Kreis und in der Stadt Aachen gefasst. Bereits im September 2005 begannen zwei Pilotprojekte zur Zusammenlegung der Gesundheits- und Sozialämter. In diesen Projekten sollten erste Erfahrungen zum Vorgehen für die weiteren Fusionsprozesse gesammelt und mögliche Probleme identifiziert werden. Auf einer Klausurtagung des Verwaltungsvorstands und der Verbandskonferenz wurden die Erfahrungen im Dezember 2005 ausgewertet und eine Projektplanung für das weitere Vorgehen erstellt. Teil der Planung war auch ein Kommunikations- und Marketingkonzept, das mit dem Claim „Weil es gemeinsam besser geht“ Bürgerinnen und Bürger informieren und für die Fusion gewinnen sollte.[31] Die Kooperation in der StädteRegion wurde bereits im Juni 2006 vom Land Nordrhein-Westfalen mit einem Innovationspreis ausgezeichnet.
Ende 2006 wurden die letzten Details in den Gremien des Altkreises, der Stadt und des Zweckverbands beschlossen. Insgesamt stimmten 527 Mandatsträgerinnen und Mandatsträger ab, von denen sich 520 für die Gründung der StädteRegion Aachen aussprachen. Die Beschlüsse umfassten einen Katalog von Aufgaben („Positivliste“), die verbindlich an die StädteRegion Aachen übertragen werden sollten, sowie Regelungen zum Personal- und Vermögensübergang und zur Finanzierung der StädteRegion.[32] Das Land wurde daraufhin um die Eröffnung des Verfahrens zur Verabschiedung des Sondergesetzes gebeten. Gleichzeitig begann die Detailplanung für den eigentlichen Fusionsprozess.

Das „Aachen-Gesetz“

Der Referenten-Entwurf zum Aachen-Gesetz sah, entgegen den in der Region getroffenen Beschlüssen, eine umfangreiche Übertragung aller üblicherweise den Kreisen sowie der Stadt Aachen zugewiesenen Aufgaben an die StädteRegion Aachen vor. Ausnahmen wären im Sinne dieses Vorgehens gesondert zu definieren gewesen („Negativliste“).[33] In der gemeinsamen Stellungnahme von Kreis, Stadt und Zweckverband wurde dieses Vorgehen abgelehnt:

„Die Verantwortlichen haben sich nach intensiven Beratungen zuletzt am 04.10.2007 darauf verständigt, in den Entwurf der gemeinsamen Stellungnahme - analog der bisherigen Beschlüsse in der Verbandsversammlung, im Kreistag, im Aachener Stadtrat und in den 9 Kommunalparlamenten – weiterhin mit dem oben auszugsweise dargestellten Positivkatalog zu argumentieren.
Übereinstimmung besteht darüber hinaus, ab Gründung der StädteRegion neue Aufgaben der Kreisebene grundsätzlich der StädteRegion zu übertragen. Der Stadt Aachen wird zugestanden, im Einzelfall auf ihren Antrag die neue Kreisaufgabe selbst wahrnehmen zu können.
In dieser Stellungnahme wird unter Punkt 1 noch einmal die Übereinstimmung der Beteiligten dahingehend ausgedrückt, die Rechtsstellung der Stadt Aachen in der neuen StädteRegion Aachen nach dem Vorbild des Hannover-Gesetzes zu formulieren, um die Sonderstellung der Stadt Aachen als weiterhin kreisfreie Stadt stärker zu betonen.“[34]
 
Diese Einwände wurden in der Überarbeitung berücksichtigt. Nach dem letztlich am 26. Februar 2008 im nordrhein-westfälischen Landtag verabschiedeten Städteregion Aachen Gesetz[35] hat die StädteRegion Aachen die Rechtsstellung eines Kreises im Sinne des Artikels 28 GG (§ 3). Die Stadt Aachen bleibt gleichzeitig „kreisfreie Stadt“ im Sinne der Kreisordnung NRW[36] (§ 4, Absatz 1) – mit Ausnahmen für die Geltung des Schulgesetzes und der Landschaftsverbandsordnung (§ 4, Absatz 3). Die StädteRegion Aachen wurde ein „Kommunalverband besonderer Art“ und Rechtsnachfolger des Kreises Aachen, nicht jedoch der Stadt Aachen, die als kreisfreie Stadt weiterbesteht. Die StädteRegion übernahm alle Aufgaben des Kreises Aachen. Die Übertragung von Aufgaben der Stadt Aachen auf die Städteregion wurde gemäß den §§ 23 ff. des Gesetzes über Kommunale Gemeinschaftsarbeit durch öffentlich-rechtliche Vereinbarungen zwischen der Stadt und der StädteRegion geregelt (§ 6). Die Stadt Aachen kann darüber hinaus zukünftig entstehende Aufgaben der Kreisebene, durch Abschluss einer entsprechenden öffentlich-rechtlichen Vereinbarung an sich ziehen (§ 6, Absatz 3). Weiterhin wurde die „Finanzneutralität“ der Fusion gesetzlich geregelt: Die Schlüsselzuweisungen aus dem kommunalen Finanzausgleich werden so berechnet, dass die StädteRegion genau den Betrag erhält, den Kreis und Stadt Aachen bei getrennter Berechnung bekommen hätten (§ 2, Absatz 2).

In zwei öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen wurden der Vermögensübergang und die Finanzbeziehungen sowie die Übertragung der Aufgaben zwischen dem Kreis Aachen und der Stadt Aachen geregelt.[37] Die StädteRegion Aachen übernahm die bisherigen Aufgaben des Zweckverbandes StädteRegion Aachen im Bereich Wirtschaftsförderung, bei der Koordination der Raum- und Infrastrukturplanung, in der Öffentlichkeitsarbeit und beim Tourismus und der Förderung der Entwicklung und Kooperation in der EUREGIO. Darüber hinaus übertrug die Stadt Aachen der StädteRegion Aachen detaillierter beschriebene Aufgaben in den Bereichen:

  • Jugend- und Bildung: insbesondere Aufgaben der Schulträgerschaft für Förderschulen, der Ausbildungsförderung und der Beratung
  • Soziales: insbesondere Aufgaben der Trägerschaft für Grundsicherung und Sozialhilfe sowie Aufgaben des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes sowie des Schwerbehindertenrechts
  • Ordnungs- und Ausländerwesen: insbesondere Aufgaben in den Bereichen Aufenthalts- und Einbürgerungsrecht und der Straßenverkehrsbehörden
  • Veterinär- und Gesundheitswesen
  • Umweltverwaltung
  • Vermessungs- sowie Katasterangelegenheiten
  • Rettungswesen.[38] 

Parallel wurde verwaltungsintern der Wechsel von ca. 250 Beschäftigten der Stadt Aachen und ca. 150 Beschäftigten aus den bisherigen Zweckverbänden zur StädteRegion Aachen geregelt.[39]
Die Stadt Aachen übertrug in der zweiten öffentlich-rechtlichen Vereinbarung zur Regelung der Finanzen die zur Wahrnehmung der Aufgaben notwendigen Grundstücke, Straßen und Immobilien an die StädteRegion Aachen.[40]

Ziele der StädteRegion

Die StädteRegion versteht sich als „Gemeindeverband und Wertegemeinschaft“,[41] mit dem Ziel, die Zusammenarbeit sowie die Gestaltungs- und Innovationskraft in der Region Aachen zu stärken.
„Ihr Ziel ist es, den Lebensraum Aachen zukunftsfähig zu machen und für den Wettbewerb der europäischen Regionen zu rüsten. Die StädteRegion soll dazu die Kräfte von Stadt, Kreis und kreisangehörigen Kommunen bündeln, die vorhandenen Potentiale entwickeln, die besonderen Standortfaktoren fördern, vor allem aber Fortschritt und Entwicklung sowie wirtschaftliches Wachstum garantieren. Die angestrebte Zusammenarbeit ist kein Selbstzweck, sondern sie steht ausschließlich im Dienst der Menschen, die hier leben“.[42]
 
Neben einer effizienten Erfüllung der öffentlichen Aufgaben auf Regionsebene will die StädteRegion auch eine „eigene Kultur“[43] entwickeln.
„Im Gebiet der StädteRegion sind zunächst unterschiedliche gesellschaftliche Strukturen und Konventionen vorhanden, auch differenzierte Aufgabenstellungen für teilräumliche Gebiete, wie etwa die Eifel, den Nordkreis oder die Stadt Aachen“.[44]
 
Als Grundlage für ein neues „Wir-Gefühl“ möchte die StädteRegion einen „Mehrwert“ bieten, der für Bürgerinnen und Bürger materielle Vorteile bringt.[45] Als Schwerpunkte der Arbeit der StädteRegion werden, über die kommunalen Aufgaben hinaus, folgende Themebereiche definiert:

  • Weiterentwicklung der Europäischen Modellregion Charlemagne
  • Förderung der Region als Bildungs- und Wissensregion
  • Bewältigung des Strukturwandels
  • Stärkung der Lebensqualität als Zukunftssicherung
  • Interessenvertretung für die Region auf Landes-, Bundes- und europäischer Ebene
  • Schaffung einer neuen Organisation und Finanzierung für die Wahrnehmung dieser Aufgaben
  • Perspektivisch eine Erweiterung der regionalen Zusammenarbeit auf weitere Kreise.[46]

In der Fortschreibung des Zukunftsprogramms 2011 wurden vier „Eckpfeiler“ für die Arbeit der StädteRegion definiert:

  • Die soziale Region
  • Die BildungsRegion
  • Die nachhaltige Region
  • Die aktive Region.[47]

Die Fortschreibung enthält auch ein Arbeitsprogramm der Verwaltung, das erneut in der Fortschreibung 2012/2013 aktualisiert wurde.[48]

Erwartete und realisierte Synergie-Effekte

In der Vereinbarung zum Vermögensübergang und zur Regelung der Finanzbeziehungen zwischen der Stadt Aachen und dem Kreis Aachen wurde auch das Ziel fixiert, bis Ende des Jahres 2009 3% und bis Ende des Jahres 2015 10% der Personal- und Sachkosten des Jahres 2005 einzusparen.[49] Die erwarteten Werte dieser Synergieeffekte finden sich in Abbildung 3 auf der folgenden Seite.
Für die Haushaltspläne der StädteRegion Aachen wurden die realisierten Synergien in der Folge regelmäßig auf Basis der eingesparten Vollzeitstellen bzw. Vollzeitäquivalenten (VZÄ) überprüft. Für den Haushaltsplan 2010 wurde bereits eine Einsparung von 41,55 Vollzeitstellen zum 31.05.2010 errechnet.  Für den Haushaltsplan 2015/2016 wurde eine Reduzierung um 60,14 VZÄ ausgewiesen. Werden als durchschnittliche Kosten für eine Vollzeitstelle 50.000 € angesetzt, so ergibt sich eine Einsparung in Höhe von 3,3 Mio. € bzw. ca. 10,7% der Kosten des Bezugsjahres 2005 (vgl. Abbildung 4).

Abbildung 3: Für die StädteRegion Aachen erwartete Synergieeffekte, Quelle: StädteRegion Aachen: Synergieeffekte StädteRegion, Aachen 2010, S. 2, online verfügbar unter tinyurl.com/nx8omoh[50],  [Berechnungsfehler bei Summe Personal-/ Sachkosten im Original].
 
Diese Einsparungen wurden im Wesentlichen durch die Reduzierung von Stellen in den Bereichen Ausländerwesen (-7,07 VZÄ), Kataster- und Vermessungswesen (-21,42 VZÄ), Soziales (-14,94 VZÄ) und Gesundheit (-7,68 VZÄ) realisiert. Für die Einsparungen im Kataster- und Vermessungswesen war insbesondere der Rückgang des Aufwands für die Pflege des Liegenschaftskatasters relevant. Im Sozialamt wurden Stellen für Aufgaben in den Bereichen SGB II, SGB V, SGB XII und Landespflegegesetz reduziert.

Aufgrund der Tatsache, dass auf Basis der vorliegenden Daten nicht erkennbar ist, ob diese Einsparungen im Wesentlichen durch Reduzierung von Standards, Prozessinnovationen, Reduzierung von Abstimmungsaufwänden o.ä. realisiert werden konnten, ist allerdings nicht eindeutig zu entscheiden, ob es sich tatsächlich um Synergieeffekte als Konsequenz des Zusammenschlusses zur StädteRegion handelt. Darüber hinaus wurden, ausweislich der in Abbildung 4 dargestellten Berechnungen, Stellen für neue Aufgaben im Umfang von fast 57 VZÄ notwendig und zwar ebenfalls vor allem in den Bereichen Ausländerwesen (+10 VZÄ), Kataster- und Vermessungswesen (+15,5 VZÄ), Soziales (+20,73 VZÄ) und Gesundheit (+4,82 VZÄ).[51]

Politische Konflikte nach dem Zusammenschluss zur StädteRegion Aachen

Die maßgeblichen Treiber der Integration in der StädteRegion Aachen, Landrat Meulenbergh und Oberbürgermeister Dr. Linden, hatten frühzeitig auf Kandidaturen für weitere Ämter nach Inkrafttreten des Aachen-Gesetzes verzichtet. Auf Grundlage des Gesetzes zur Vorbereitung der Wahlen des ersten Städteregionstags und des ersten Städteregionsrates der Städteregion Aachen[52] wurde am 20. August der Städteregionstag als Nachfolge des Kreistages sowie Helmut Etschenberg (CDU) zum ersten Städteregionsrat gewählt. Etschenberg war seit 1993 Kreisdirektor des Kreises Aachen und Dezernent für Soziales, Jugend und Schule. Neuer Oberbürgermeister der Stadt Aachen wurde Marcel Philipp (CDU), der seit 1999 Stadtrat der Stadt Aachen war. Die Wahlbeteiligung lag sowohl für die StädteRegion als auch für die Stadt Aachen mit knapp über 50% ungefähr im Landesdurchschnitt.[53]
Bereits im ersten Halbjahr des Jahres 2010 wurden verschiedene Konflikte zwischen der StädteRegion und der Stadt deutlich, so zum Beispiel bei der Diskussion über den Standort der ARGE sowie bei Entscheidungen zu einer gemeinsamen Leitstelle der Feuerwehr und über die Ausrichtung der weiteren Entwicklung in der EUREGIO.[54] Die „Väter der StädteRegion“,[55] Meulenbergh und Linden, zogen zum ersten Geburtstag der StädteRegion am 20. Oktober 2010 in der Aachener Zeitung eine ambivalente Bilanz. Es fehle eine Vision, für die Bürgerinnen und Bürger sei die StädteRegion nicht konkret wahrnehmbar. Die Entscheidung für die StädteRegion sei richtig gewesen, diese müsse jetzt aber auch entschieden und mit strategischen Inhalten weiterentwickelt werden.[56] In der Öffentlichkeit war im ersten Jahr der Eindruck entstanden, dass die Auseinandersetzungen um viele Detailfragen eine konstruktive Arbeit blockierten.[57]

Überregional wurde die nicht ganz einfache Konstruktion der StädteRegion in Kombination mit dem kreisfreien Status der Stadt Aachen teilweise missverstanden. So verlor die Stadt Aachen in wichtigen Rankings zu Innovationskraft und Zukunftsfähigkeit ihren guten Platz oder wurde gar nicht mehr geführt.[58] Die zunehmende Fokussierung auch der regionalen Berichterstattung auf die StädteRegion veranlasste OB Philipp zu einer Beschwerde bei einem regionalen Radiosender.[59] Offensichtlich befürchteten Repräsentanten der Stadt einen Bedeutungsverlust.
„Gelbe Karte für das Projekt Städteregion“ titelte die Aachener Zeitung im Februar 2011, nachdem Studierende der Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung festgestellt hatten, dass sowohl die gesetzlichen Grundlagen als auch die politische Praxis Verbesserungspotenzial aufwiesen.[60] Konflikte seien durch die zu ungenauen Regelungen im Aachen-Gesetz wahrscheinlich und die Zusammenführung der Organisationsbereiche von Stadt und Landkreis sei noch nicht erfolgreich abgeschlossen, Synergien noch kaum zu erkennen, teilweise seien die Personalkosten sogar gestiegen.

StädteRegion und Stadt gaben verschiedene Rechtsgutachten zur Klärung strittiger Fragen in Auftrag. In einem Rechtsgutachten hatte der Münsteraner  Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Janbernd Oebbecke herausgearbeitet, dass der durch Wahlen legitimierte Städteregionstag im Rahmen des Aufgabenfindungsrechts nach Art. 78 der Landesverfassung NRW freiwillige Aufgaben für die Städteregion festlegen kann, ohne vorab die Zustimmung der regionsangehörigen Gemeinden einzuholen. Die Stadt Aachen forderte dementgegen ein Mitspracherecht bei der Festlegung der Aufgaben der StädteRegion. OB Philipp regte im März ein Veto-Recht der Bürgermeister der StädteRegion-Gemeinden bei Vorhaben der StädteRegion an.[61] In Anbetracht der Tatsache, dass Städteregionstag und Städteregionsrat unmittelbar demokratisch legitimierte Organe mit gesetzlich geregelten Kompetenzen sind, musste dieser Vorschlag zu einer weiteren Zuspitzung des Konflikts zwischen Stadt und StädteRegion führen. Die Zusammenarbeit zwischen ihm und OB Philipp sei „erheblich gestört“, erklärte daraufhin Städteregionsrat Etschenberg auf einer Pressekonferenz.[62] Etschenberg erwog im Sommer 2011 auch eine „Rückabwicklung der Städteregion“ in Richtung eines Mehrzweckverbands. Zum zweiten Geburtstag der Städteregion im Oktober 2011 forderte die SPD-Fraktion im Städteregionstag daraufhin Städteregionsrat Etschenberg und OB Philipp zum Rücktritt auf.[63]

Im November 2011 fand eine Sondersitzung des StädteRegionstags zur „Standortbestimmung“ statt.[64] Im Vorfeld machte Städteregionsrat Etschenberg deutlich, dass der Konflikt aus seiner Sicht kein persönlicher Konflikt zwischen ihm und OB Philipp sei,[65] sondern lediglich Konsequenz der für die StädteRegion und die Stadt relevanten gesetzlichen Regelungen bzw. der resultierenden Regelungslücken. Als Alternative zu einer Weiterentwicklung der StädteRegion auf rechtlich und politisch klarer Basis, ohne Vetorechte oder Zustimmungsvorbehalte der Stadt Aachen, bliebe nur eine Auflösung der StädteRegion, so Etschenberg. Umgekehrt sei die StädteRegion bereit, sich bei der Übernahme neuer Aufgaben zu beschränken, um die Belastungen für die Mitgliedskommunen gering zu halten.[66] In der Sondersitzung sprachen sich alle Fraktionen und eine deutliche Mehrheit des Städteregionstages für eine Fortführung der StädteRegion aus, dies allerdings ohne dass klar wurde, wie genau die aufgebrochenen Konflikte gelöst werden sollten.[67] 

Im Dezember 2011 beauftragte der Rat der Stadt Aachen die Verwaltung „Vorschläge zur Klärung der Zuständigkeitsprobleme und der Verfahrensschwierigkeiten“ mit der StädteRegion auszuarbeiten.[68] Anfang 2012 schlug OB Philipp eine Anpassung der Anhänge zum Aachen-Gesetz vor, um die Finanzbeziehungen zwischen der Stadt und der StädteRegion neu zu ordnen.[69] Die von der Verwaltung der Stadt Aachen ausgearbeiteten Vorschläge zur Anpassung des Aachen-Gesetzes wurden Ende Mai im Stadtrat beraten. Sie sahen insbesondere eine Beschränkung des Aufgabenfindungsrechts der StädteRegion sowie eine Ausweitung und Stärkung der als „Optionsrecht“ interpretierten Möglichkeit zur eigenständigen Erledigung neu per Gesetz auf die Kreisebene übertragener Aufgaben nach § 6 Absatz 3 des Städteregion Aachen Gesetzes vor. Darüber hinaus sollten der Modus der Ausschüttung von Gewinnen der Sparkasse zu Gunsten der Stadt Aachen verändert und Strukturen für ein gemeinsames Marketing von Stadt und StädteRegion geschaffen werden.[70] Der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Stadtrat, interpretierte diese Vorschläge als „Brandsatz“: Das Papier wirke als wolle die Stadt die StädteRegion scheitern lassen.[71] Die SPD – sowohl in der Stadt als auch in der StädteRegion Oppositionspartei – forderte zunächst die Einsetzung einer interfraktionellen Kommission zur Lösung der Konflikte, weil von den Verwaltungsspitzen, so die Einschätzung nach Veröffentlichung des Papiers, eine eigenständige Lösung nicht mehr zu erwarten sei.[72] Schließlich einigte man sich im Rat der Stadt Aachen darauf, Städteregionsrat Etschenberg und OB Philipp zur Vorlage eines Kompromissvorschlages Zeit bis Ende Oktober 2012 zu geben.[73]
Im September 2012 einigten sich Etschenberg und Philipp schließlich auf das in der Einleitung bereits erwähnte „15-Punkte-Papier“ (siehe Anhang 2). Mit dem Hinweis, die Konflikte zwischen Stadt und StädteRegion seien „nicht juristisch, sondern pragmatisch zu lösen“[74] wurde auf eine Veränderung des Aachen Gesetzes bzw. dessen Anlagen (zunächst) verzichtet. Gleichzeitig wurden wesentliche Forderungen der Stadt Aachen zur Wahrnehmung neuer bzw. freiwilliger Aufgaben und zu finanziellen Regelungen als gemeinsame Position aufgenommen. Damit waren die „Geburtswehen der Städteregion“ überstanden, so Städteregionsrat Etschenberg im November 2012.[75] In der Tat stabilisierte sich die Zusammenarbeit zwischen der Stadt Aachen und der StädteRegion Aachen in den nächsten Monaten.

Im Mai 2014 zogen Stadt und StädteRegion in einer gemeinsamen Evaluation des Städteregion Aachen Gesetzes[76] eine verhalten positive Bilanz. Die gesetzlichen Grundlagen seien „im Wesentlichen geeignet“,[77] die Zielsetzungen der Reform zu realisieren, auch wenn im Rahmen der neuen Zusammenarbeit neue Problemlösungen gefunden werden mussten. Die erwarteten Synergien hätten sich früher als erwartet realisieren lassen.[78] Ein „Mehrwert“ für Bürgerinnen und Bürger sei erkennbar und die StädteRegion damit insgesamt „Botschafter des Landes NRW für gelingende regionale Kooperation“.[79]

Bei den Kommunalwahlen am 25.05.2014 wurde Marcel Philipp mit 50,5% der gültigen Stimmen erneut zum Oberbürgermeister der Stadt Aachen gewählt.[80] Helmut Etschenberg wurde in der notwendig gewordenen Stichwahl am 15.06.2014 mit 52,2% der gültigen Stimmen erneut zum Städteregionsrat gewählt. Lediglich 22,2% der in der StädteRegion Aachen Stimmberechtigten beteiligten sich an der Stichwahl.[81]
Die Gründung der StädteRegion Aachen und die Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen den Kommunen des alten Kreises Aachen, dem Kreis und der kreisfreien Stadt Aachen war ein wegweisendes und für viele Regionen vorbildliches Projekt. Die Überwindung von Doppelstrukturen und Wettbewerbssituationen mit dem Charakter von Nullsummenspielen ist grundlegende Voraussetzung für eine zukunftsfähige Entwicklung von Kommunen. Das Beispiel zeigt aber auch, dass durch eine Vertiefung der Kooperation und den Zusammenschluss von Gebietskörperschaften neue Koordinationsprobleme entstehen, die unter Umständen die Realisierung betriebswirtschaftlich recht einfach plausibilisierbarer Synergieeffekte blockieren können. Synergien durch Kooperationen, Zusammenschlüsse und Konzentrationsprozesse sind immer auch mit einem Verlust an Repräsentation verbunden, wenn nicht neue, möglicherweise auch informelle Formen der Interessenkoordination eingeführt werden – verbunden mit einem entsprechenden Aufwand. Der Widerstand der Akteure gegen diese Repräsentationsverluste, gegen die Minderung von Macht und Einfluss auf für sie wichtige Entscheidungen, wird oft gerade in kommunalen Zusammenhängen zu wenig berücksichtigt.
Wie bereits in der Einleitung erwähnt, steht die StädteRegion 2015, nicht zuletzt aufgrund der durch die Wirtschaftskrise 2009 ff. noch schwieriger gewordenen finanziellen Rahmenbedingungen in den Kommunen, vor neuen Herausforderungen. Es bleibt abzuwarten, ob sich die interkommunale Kooperation in Form der StädteRegion in Zeiten der strengen Haushaltskonsolidierung bewähren wird.