Strommasten
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Lehr-Fallstudien: Strompreisbremse

Die Energiewende stellt eine energiepolitische Zäsur in der schwarz-gelben Regierungspolitik dar. Trotz zweifelloser Fortschritte, rückte das Thema Bezahlbarkeit von Energie immer stärker ins Zentrum der politischen Debatte. 2013 war ein Bundestagswahljahr, welche Regierung wollte da für steigende Strompreise verantwortlich gemacht werden? Am 28. Januar trat Umweltminister Peter Altmaier mit seinem Konzept der Strompreisbremse eine politische Lawine los, die nicht nur Handlungsfähigkeit signalisierte, sondern auch die anderen politischen Akteure unter Zugzwang setzte. Diese Falldarstellung zeichnet den politischen Prozess und die darin auftretenden Entscheidungssituationen nach. Wie kommunizierte Altmaier sein Konzept? Wie reagierte sein Kabinettskollege Rösler, wie die politische Konkurrenz? Welche strategischen Erwägungen verknüpften sich mit dieser Policy im Hinblick auf den Wahltermin? Im Kontext einer offenen Entscheidungssituation gibt diese Falldarstellung die relevanten Informationen an die Hand, um diese Fragen zu beantworten.

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Energiepolitisches Manövrieren in der ‚Wunschkoalition‘.

Das schwarz-gelbe Politikmanagement rund um die Strompreisbremse.

Mit der Ruhe war es am Morgen des 28. Januar schnell vorbei. Eine SMS erreichte den Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP),[1] der Inhalt traf den Minister vollkommen unvorbereitet. Sein Kabinettskollege Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) kündigte einen Vorstoß in der Förderpolitik der erneuerbaren Energien an. Zwei Stunden später sollte es die Presse erfahren.

Die Diskussion um die Bezahlbarkeit der Förderung der erneuerbaren Energien war aus dem Ruder gelaufen, es war in dieser Frage Handlungsdruck aufgebaut worden. Altmaier strebte eine Deckelung der für die Förderung maßgeblichen EEG-Umlage an. Mit diesen Plänen wollte der Bundesumweltminister allerdings nicht erst in einer Woche, sondern noch am selben Tag, am 28. Januar, an die Öffentlichkeit gehen. Philipp Rösler konnte nicht exakt abschätzen, was genau passieren würde: Was würde Altmaier im Detail vorschlagen, wie würden die verschiedenen Stakeholder darauf reagieren und wie würde dies die Position des Wirtschaftsministers beeinflussen? Das hauseigene Frühwarnsystem des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) hatte offenbar versagt. Aus dem kleinen Kreis um Altmaier, in dem das Konzept vorbereitet worden war, war nichts nach außen gedrungen. Eine Ressortabstimmung war ausgeblieben. Was war nur aus dem Kollegialprinzip geworden? Rösler wurde kalt erwischt.

Der Wirtschaftsminister stand vor einer schweren Entscheidung – den Vorstoß öffentlich ablehnen oder doch Altmaier Rückendeckung gewähren? Rösler würde Farbe bekennen müssen. Die Position, die Rösler hier bezog, würde ihn das ganze Bundestagswahljahr 2013 begleiten − eventuell am Ende sogar verfolgen. Es gab eine klare Taktung des politischen Geschäftes, einen Zeitplan, den Altmaier einhalten musste, wollte er im Sommer − im wahrsten Sinne des Wortes − einen Deckel auf der Förderung haben. Auf dem letzten Energiegipfel im November 2012 war der Termin für den nächsten Gipfel mit den Ministerpräsidenten schon verabredet worden – am 21. März sollte wieder getagt werden.[2] Ein Bund-Länder-Treffen am 14. Februar würde die für die Energiewende so wichtige Föderalismus-Dimension vorbereiten. Eine Etappe, die Rösler intensiv beschäftigen sollte. Schließlich stand ein Koalitionsausschuss vor der Tür, eine Gelegenheit die Wogen zu glätten.

In Fragen zur Energiewende waren die Minister Rösler und Altmaier selten einer Meinung. Zweifellos würde auf diesem Politikfeld im Wahlkampf jedoch eine heiße Auseinandersetzung toben. Es galt, eine gute Ausgangsposition zu erarbeiten. Nach dem Motto ‚nur nicht ausgebotet werden‘ mussten die nächsten Schritte der politischen Kontrahenten antizipiert werden. Bei alledem entfaltete die Förderpolitik der erneuerbaren Energien allerdings auch große Strahlkraft und Symbolwirkung für die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung bei der Energiewende. Es galt für Philipp Rösler, sich für eine geeignete Strategie zu entscheiden, die die eigenen inhaltlichen Impulse und die zeitlichen Rahmenbedingungen miteinander verknüpfte.

Im Schatten der Energiewende

Die Energiewende sei eine „Herkulesaufgabe“ und „eine der größten Herausforderungen seit dem Wiederaufbau und der Wiedervereinigung“[3], so wortgewaltig pflegte Bundesumweltminister Peter Altmaier den energiepolitischen Kurs der Bundesregierung nach den tragischen Ereignissen 2011 in Fukushima zu beschreiben. Doch der Diskurs um die deutsche Energiewende steckte zu Beginn des Jahres 2013 in einer Sackgasse. Eine breite Strompreisdebatte hatte die Energiepolitik fest im Griff. Damit begann das neue Jahr so wie das alte endete. Nachdem im Herbst 2012 die EEG-Umlage (Erneuerbare-Energien-Gesetz) mit einer Steigerung von 50 Prozent förmlich explodiert war, war das Thema von der politischen Tagesordnung nicht mehr wegzudenken. Ein Durchschnittshaushalt fand 2013 schon rund 185 Euro für die Förderung der erneuerbaren Energien auf seiner Stromrechnung ausgewiesen. Das waren rund 60 Euro mehr als im vergangenen Jahr. Die Ökostromförderung etablierte sich damit in der öffentlichen Wahrnehmung als maßgeblicher Kostentreiber. Alle politischen Akteure versuchten daraufhin, zwei zentrale Botschaften miteinander zu versöhnen. Insbesondere der Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) und der Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) – beide teilen sich die primären Kompetenzen für die Energiewende – bedienten die beiden Formeln „die Energiewende gibt es nicht zum Nulltarif“[4]und „Strom darf kein Luxusgut werden“[5]. Einig war man sich in der Bundesregierung auch noch, dass das EEG reformbedürftig war. Dann war es aber mit der Einigkeit auch schon wieder vorbei. Während Altmaier einen Verfahrensvorschlag für eine evolutionäre Weiterentwicklung des EEG präsentierte, hatte Rösler sich die Abschaffung des EEG auf die Fahnen geschrieben.[6]Differenzen gab es auch in der Zeitperspektive. Eine Reform des EEG noch in der laufenden Legislaturperiode wurde vom Bundesumweltministerium (BMU) ausgeschlossen. Rösler hingegen wollte lieber heute als morgen das EEG-System überwinden. Um die Stromkosten für Wirtschaft und Verbraucher kurzfristig zu begrenzen, hatte er sich für die Senkung der Stromsteuer eingesetzt. Jedoch hatte Altmaier – und auch die Kanzlerin – dies immer wieder abgelehnt. So war es erst einmal bei Lippenbekenntnissen geblieben.

Währenddessen schoss sich die Opposition auf Röslers Rolle in der Energiepolitik ein: „Die Energiewende wird in den Sand gesetzt“[7] urteilten die Grünen − und auch die SPD kam zu einem wenig schmeichelhaften Urteil. Die Abrechnung von SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil im Bundestag: „Deutschland könnte mit einer gelungenen Energiewende, die im Kern eine Riesenchance für dieses Land ist, in einer Welt, die einen großen Energiehunger hat, Ausrüster der Welt sein: bei erneuerbaren Energien, bei Energieeffizienz, bei modernen Energieversorgungssystemen. Sie [Philipp Rösler] haben in Ihrer Amtszeit aus der Chance der Energiewende ein wirtschaftliches und ein soziales Risiko für Deutschland gemacht. Die Strompreise steigen, die Versorgungssicherheit ist gefährdet, und Rösler und Altmaier als Mitglieder dieser Bundesregierung zanken sich wie zwei Kinder. […] Die Art und Weise, wie Sie die Energiewende gegen die Wand fahren, wird zu einem wirtschaftlichen Risiko in diesem Land.“

Sowohl die Wirtschaft auf der einen, als auch Verbraucherschützer auf der anderen Seite übten ein ums andere Mal scharfe Kritik an der Energiepolitik – die verschiedenen Anspruchsgruppen bedrängten mit ihren Forderungen die Bundesregierung von allen Seiten. Der Zwang zum Handeln stieg wie der Druck in einem Dampfkessel – wer möchte schon in einem Wahljahr für steigende Strompreise verantwortlich gemacht werden?

Dann ließ Altmaier am 28. Januar seine Bombe platzen. Mit seinem Konzept für eine Strompreis-Sicherung[9]im EEG setzte er alle politischen Akteure unter Zugzwang. Man musste sich positionieren. In den Medien firmierte der Vorstoß unter dem Namen „Strompreisbremse“. Medial war dieser Begriff schon besetzt, da im Zuge der Photovoltaik-Diskussion 2012 dieser Begriff immer wieder in der Berichterstattung auftauchte. Auch wenn die Maßnahmen inhaltlich nichts gemeinsam hatten, war dies ein Fingerzeig, um was für einen geschickten Schachzug es sich von Altmaier handelte. Denn nicht nur sollte der Strompreisanstieg gebremst werden, sondern auch seine politischen Kontrahenten wurden ausgebremst. Der Vorstoß des Umweltministers war nicht abgestimmt gewesen und traf Rösler unvorbereitet. Der CDU-Minister eröffnete den Bundestagswahlkampf auf dem Parkett der Energiewende.[10]

Das EEG und die Kostendiskussion

Der Stoff für den koalitionsinternen Dissens waren die Mittel und Wege, um den Kostensteigerungen durch die Energiewende zu begegnen. 2011 vollzog die Bundesregierung eine energiepolitische Kehrtwende, sie rief die beschleunigte Energiewende aus. Aus dieser politischen Zäsur folgte erstens der Ausstieg aus der Kernenergie bis 2022. Zweitens ging damit ein Umbau des deutschen Energiesystems einher – bis 2050 sollten 80 Prozent erneuerbare Energien im Strommix enthalten sein. Deutschland setzte also langfristig auf die Erzeugung von Ökostrom. Damit waren aber auch erhebliche Kosten verbunden. Trotz der weitreichenden Reform und den ambitionierten Zielen wurde dabei nicht auf ein neues Instrument gesetzt, sondern dem Bewährten der Vorzug gegeben. Die Förderung von erneuerbaren Energien im Strommarkt wird seit 2000 durch das EEG geregelt. Über einen Zeitraum von 20 Jahren wird eine feste Einspeisevergütung für Strom aus erneuerbaren Energien garantiert. So soll Investitionssicherheit gewährleistet werden. Der Ökostrom wird an der Strombörse verkauft, wodurch Markterlöse erzielt werden. Der Differenz zwischen der fixen Einspeisevergütung und dem Börsenwert entsprechen die eigentlichen Förderkosten für erneuerbare Energien (Differenzkosten). Da sich der Börsenwert für Strom im Sinkflug befindet, steigen dementsprechend die Kosten für die Verbraucher. Über die EEG-Umlage werden diese Förderkosten auf den Strompreis umgelegt. Grundsätzlich zahlen alle Letztverbraucher die Umlage, also ebenso private Haushalte wie Dienstleister oder die Industrie. Allerdings wurden vermehrt Ausnahmen für energieintensive Industrien gewährt, um deren internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht durch hohe Stromkosten zu gefährden. Dies treibt jedoch die Umlage für alle nichtprivilegierten Verbraucher in die Höhe. Aus diesem Grund wurde die Ausnahmeregelung zum Streitgegenstand im Parteienwettbewerb. 2013 hatte die EEG-Umlage einen neuen Rekordwert erreicht, je Kilowattstunde (kWh) zahlte der nichtprivilegierte Verbraucher 5,28 Cent. 2012 betrug die Umlage noch 3,59 ct/ kWh, was einem Anstieg von knapp 50 Prozent entsprach. Somit werden 2013 rund 20 Milliarden Euro in dem Fördersystem umverteilt − Tendenz steigend (weitere Informationen im Dossier). Was bedeutete die Kostendiskussion nun für die Zukunft des EEG? Es herrscht letztlich Konsens über alle Parteigrenzen hinweg, dass das EEG das richtige Instrument zur Markteinführung der erneuerbaren Energien war. Nachdem 2012 schon gut 25 Prozent des Stroms regenerativ erzeugt wurde, hatten die erneuerbaren Energien aber ihre Marktnische verlassen. Die Debatte um eine umfassende Reform des EEG hatte schon eingesetzt. Dabei verlief ein Riss quer durch die schwarz-gelbe Bundesregierung. Teile der Wirtschaft, politisch gestützt durch die FDP oder den CDU-Wirtschaftsrat, forderten eine Abschaffung des EEG und wollten die Preissteuerung durch eine Mengensteuerung über eine Quote ersetzen. Dadurch versprachen sie sich einen deutlich kosteneffizienteren Ausbau der erneuerbaren Energien. Der Bundesumweltminister hingegen wollte an der festen Einspeisevergütung festhalten und stand für eine evolutionäre Weiterentwicklung des EEG, die der neuen Rolle der Erneuerbaren im Strommarkt gerecht werden sollte. Dazu hatte Altmaier schon einen Dialogprozess im BMU gestartet.[11]Dieses Ziel wurde weitestgehend von der Opposition geteilt. Der koalitionsinterne Dissens hatte bislang einen gemeinsamen Vorschlag der Bundesregierung verhindert. Schon zu Beginn des Jahres 2013 zeichnete sich ab, dass eine grundlegende Reform wohl erst nach der Bundestagswahl kommen würde. Zu groß waren die Konfliktlinien, zu knapp war die Zeit für eine weitreichende Reform.

Altmaiers Strompreis-Sicherung, eine Chronologie

Langfristig wird sich die Ökostromförderung also verändern, was auch Auswirkungen auf die EEG-Umlage und dadurch den Strompreis haben wird. Doch was stand kurzfristig an? Sei es Stromsteuersenkung oder Reform des Europäischen Emissionshandelssystems – Rösler und Altmaier waren in diesen Fragen durch einen tiefen Graben getrennt. So sah es erst so aus, als wenn Schwarz-Gelb die Zeit bis zur Bundestagswahl mit Lavieren überbrücken würde. Doch der 28. Januar änderte die politische Großwetterlage der Strompreisdebatte grundlegend. Altmaier wirbelte mit seinem Konzept der Strompreis-Sicherung, das im Kern auf eine Deckelung der Ökostromförderung hinauslief, viel Staub auf. Durch ein Einfrieren der EEG-Umlage sollten die Kosten der Energiewende beherrschbar bleiben.

Medial gehörte der Tag ganz dem Umweltminister. Auf der Pressekonferenz äußerte er: „Ich möchte gerne über die Chancen der Energiewende diskutieren. Aber im Augenblick dringe ich damit nicht durch – nirgendwo –, weil ich im Augenblick immer nur konfrontiert bin mit der Frage, wie weit der Strompreis noch steigt.“[12]Auch seine Motivation konnte er in einer prägnanten Botschaft transportieren: „Ich will dazu beitragen, dass der Strompreis stabil gehalten wird, dass die Kosten, die durch die Energiewende entstehen, berechenbar und kalkulierbar sind.“[13]Abends stand er dann Claus Kleber im Heute Journal noch Rede und Antwort:

„Ich glaube, dass wir eine ernste Lage haben. Der Strompreis ist in den letzten Jahren stärker gestiegen als alle es wollten, alle haben das beklagt und deswegen müssen wir auch alle einen Beitrag dazu leisten, dass die Entwicklung unter Kontrolle kommt. Ich wünsche mir, dass die Energiewende gelingt, aber ich wünsche mir auch, dass Strom kein Luxusgut wird und deshalb müssen wir handeln, denn die nächste Erhöhung droht anderenfalls im Herbst.“[14] Tatsächlich nahm der Minister alle Akteure in die Pflicht. Sein Strompreis-Sicherungs-Konzept sah vor, dass erstens Anlagenbetreiber erneuerbarer Energien einen Beitrag leisteten. Dazu sollte einerseits der Zahlungsbeginn der Einspeisevergütung für Neuanlagen flexibilisiert werden – eine Zahlung sollte erst erfolgen, wenn das EEG-Konto ausgeglichen ist. Andererseits sollte ein einmaliger, auf ein Jahr begrenzter, EEG-Soli in „geringer und vertretbarer“ Höhe für Bestandsanlagen erhoben werden – eine solche rückwirkende Belastung wäre ein Novum in der EEG-Geschichte. Zweitens sollte die Wirtschaft ihren Beitrag leisten, was vor allem durch eine Reduzierung und Begrenzung der Ausnahme-Regelungen für energieintensive Unternehmen erreicht werden sollte. Darüber hinaus sah das Papier vor, die „zunehmende Entsolidarisierung bei der EEG-Umlage durch Eigenproduktion und -verbrauch zu stoppen.“ In Summe sollten so mehr als 1,3 Milliarden Euro aufgebracht werden, um sich gegen zu erwartende Mehrkosten abzusichern. Diese Regelungen hatten zum Ziel, den „schwere[n] Geburtsfehler des EEG, dass zwar Fördertatbestände geschaffen, aber keinerlei Belastungs- und Kostenobergrenzen festgelegt wurden“[15], zu beheben. Altmaier zog somit einen Förder-Deckel ein. Für die Jahre 2013 und 2014 sollte die EEG-Umlage auf dem aktuellen Niveau eingefroren werden und danach im Anstieg auf maximal 2,5 Prozent begrenzt werden. Der Umweltminister strebte damit an, dass sich keine Überbelastung der Letztverbraucher einstellte und dass die Risiken durch einen weiter fallenden Börsenstrompreis, der steigende Differenzkosten zur Folge hätte (aber zu erwarten war), minimiert werden. Altmaier betonte auch, dass die Strompreis-Sicherung nur im Bedarfsfall greifen sollte (darum Sicherung), sie also als „Notbremse“ fungierte. In den Medien führte dies zum Label der „Strompreisbremse“. Ginge es nach Altmaier, wäre sein Vorstoß noch vor der Sommerpause, am 1. August, in Kraft getreten. Die Zeit drängte folglich. Schließlich musste ein komplettes parlamentarisches Verfahren durchlaufen werden. Insbesondere im Bundesrat drohten Fallstricke. Aber zunächst musste die Strompreisbremse so weit kommen. Altmaier gab sich deshalb dialogbereit. Philipp Rösler hatte also die Möglichkeit, mit eigenen Vorschlägen maßgeblichen Einfluss auf den weiteren politischen Prozess zu nehmen.

Licht und Schatten in der Bewertung

Die ersten Reaktionen auf Altmaiers Vorstoß hätten gegensätzlicher kaum sein können. Zuspruch kam von Verbraucherinteressen, erst in Person Gerd Billens, Vorsitzender der Verbraucherzentrale Bundesverband, und dann gefolgt von Ilse Aigner (CSU), der Verbraucherschutzministerin. Hier lautete der Tenor, wie wichtig das Signal für die Verbraucher sei, dass die Industrie stärker an den Kosten der Energiewende beteiligt werden sollte. Hingegen waren sich Opposition und erneuerbare Energien-Branchenverbände darin einig, dass vor allem der Ausbau der erneuerbaren Energien ausgebremst würde. Insbesondere Jürgen Trittin, Fraktionsvorsitzender der Grünen, versuchte dem Bild der Strompreisbremse das Bild der Ausbaubremse entgegenzustellen. „Die von Peter Altmaier so genannte Strompreisbremse ist keine Strompreisbremse, sondern eine reine Ausbaubremse für den Ausbau der erneuerbaren Energien.“[16]

Aus der Strompreisbremse resultiere Investitionsunsicherheit und Verunsicherung in der Branche. Ähnlich ließ sich auch das grün-rot regierte Baden-Württemberg vernehmen, hier äußerte sich Ministerpräsident Kretschmann (Grüne) ablehnend.[17]Deutliche Worte kamen auch aus Nordrhein-Westfalen. NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) polterte, „Altmaier ist ,Totengräber‘ der Energiewende.“[18] Demgegenüber reagierte die Wirtschaft nicht einhellig. Während Hildegard Müller, Geschäftsführerin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft, den Vorstoß begrüßte, sprach der Präsident des Bundesverbands Deutscher Industrie, Ulrich Grillo, schon zurückhaltender von bestehendem Handlungsbedarf. Hans Heinrich Driftmann, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, zeigte sich hingegen wenig begeistert und lehnte eine Streichung der Industrie-Vergünstigungen vehement ab.[19]

Dann war da noch die Wahlschlappe für die CDU in Niedersachsen. Am 20. Januar wurde mit hauchdünnem Vorsprung durch Rot-Grün die schwarz-gelbe Landesregierung abgewählt. Um die FDP über die 5-Prozent-Hürde zu heben, hatten zahlreiche CDU-Wähler diesmal für die FDP gestimmt. Dies bescherte der FDP prompt ein Traumergebnis und der CDU große Verluste.[20]Die Medien deuteten den Alleingang Altmaiers als Zeichen, dass nun jeder für sich kämpfe – koalitionsinterne Wahlgeschenke waren passé.

Röslers erste Reaktionen

Während der Kampf um die Deutungshoheit längst entbrannt war, war von Rösler auffallend wenig zu hören. Da es keine formale Absprache zwischen den Ministerien gegeben hatte, stand der Wirtschaftsminister unter besonderer Beobachtung der Medien. Ein Sprecher des Wirtschaftsministers erklärte, dass der Minister erst am Morgen des 28. Januar über die Pläne aus dem Umweltministerium informiert worden war. So war Rösler zwar der Überrumpelte, aber er verstand sich darauf, sich erst einmal Zeit zu erkaufen – und überraschte die politischen Beobachter, indem er sich öffentlich hinter seinen Kabinettskollegen stellte. Im Laufe des Tages trat Rösler dann im Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) vor die versammelte Presse, um seine politische Einschätzung abzugeben.

„Ein erster Schritt in die richtige Richtung, weitere müssen folgen. […] Vor allem muss eine grundlegende Reform des Gesetzes zur Förderung erneuerbarer Energien angegangen werden, denn Peter Altmaier hat genau das auch bestätigt: der Hauptkostentreiber bei den Strompreisen ist genau diese überzogene Förderung – und da müssen wir ran.“[21] Dieses Statement nutzte er auch gleich zur eigenen Profilierung. „Sie alle wissen, seit Monaten kämpfe ich als Bundeswirtschaftsminister dafür, dass Energie in Deutschland bezahlbar bleibt – für die Unternehmen genauso wie für die Menschen gleichermaßen. Insofern ist es gut, dass es hier jetzt auch auf Seiten des Umweltministeriums Bewegung gibt.“[22] Rösler verknüpfte seine Rückendeckung mit der Forderung nach einem „großen Wurf“ bei der EEG-Reform. Orchestriert wurde sein Kommentar durch – offenbar koordinierte − Stimmen aus der FDP-Fraktion, sowohl FDP-Chef Rainer Brüderle als auch der umweltpolitische Sprecher der Fraktion, Michael Kauch, begrüßten den Vorstoß und wollten Altmaier „dabei unterstützen, diese Position auch in der Union durchzusetzen.“[23]Darüber hinaus sollte zusätzlich die Stromsteuer in dem Maße abgesenkt werden, wie der Bund aus steigenden Strompreisen Mehreinnahmen aus der Mehrwertsteuer erzielte.[24]

Im Morgenmagazin ging Rösler dann in die Offensive und versuchte seine Deutung zu vermitteln. Auf die Frage „was hat sie mehr geärgert – dass sie so überrumpelt wurden oder dass man ihnen ein schönes Wahlkampfthema weggenommen hat?“ antwortete der Bundeswirtschaftsminister gelassen: „Das hat mich überhaupt nicht geärgert, denn eines ist klar: Der Bundesumweltminister ist zuständig für die Förderung der erneuerbaren Energien und damit natürlich auch für die zunehmenden Kostensteigerungen. Dieser Verantwortung musste er sich stellen. Das hat er getan, auch für die gesamte Bundesregierung – das ist gut. Das einzige was mich noch ärgert, ist das Verhalten von Rot und Grün, die sich scheinbar eher auf Seiten der Öko-Schickeria stellen als auf Seiten der Verbraucherinnen und Verbraucher. Denn sie sind gegen eine Strompreisbremse, obwohl das genau das ist, was die Menschen und Unternehmen gleichermaßen in Deutschland brauchen.“[25] Rösler wies die politische Verantwortung für Kostensteigerungen von sich und lenkte den Blick vielmehr auf die Opposition. Ihm gingen die Vorschläge Altmaiers nicht weit genug. So war ihm darüber hinaus die Regelung ein Dorn im Auge, dass Anlagen, die nicht am Netz sind, ihren Strom dennoch zu 95 Prozent vergütet bekommen (Einspeisemanagement). Hier könnte eine weitere Strompreisbremse greifen. Die Richtung, die Rösler dabei verfolgte, war klar – raus aus dem „planwirtschaftlichen Modell EEG“, rein in ein Marktwirtschaftliches, „passend zur Sozialen Marktwirtschaft“. Außerdem wäre es auch richtig, dass die Industrie einen stärkeren Beitrag leistete, da die Energiewende schließlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei. Philipp Rösler pflichtete Altmaier also auch in diesem Punkt bei – allerdings bei offener Hintertür, denn Jobs dürften auf keinen Fall gefährdet werden.

Paralleldebatte um Stromsteuersenkung

Trotz dieser gemischten Reaktionen auf die Strompreisbremse, schien es so, als würde die Bundesregierung mit einer (fast einheitlichen) Stimme sprechen. Zumindest im Scheinwerferlicht vermieden es die beteiligten Akteure, öffentlich gegenseitige Kritik zu äußern. Dass dieser kommunikative Frieden auf wackeligen Beinen stand, verdeutlichte das Geschehen der folgenden Tage. Durch die gesteigerte mediale Aufmerksamkeit ließ sich ein Profilierungswettlauf kaum noch vermeiden − auf den einmal rollenden Zug wollten alle aufspringen. Den Aufschlag dazu machte die Ministerpräsidentin Hannelore Kraft aus Nordrhein-Westfalen. „Steuer senken statt Strompreisbremse“, so ließ sie sich im Handelsblatt zitieren. Für eine Stromsteuersenkung und gegen eine Belastung der energieintensiven Industrie plädierte auch der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann – ins gleiche Horn blies SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil. Hingegen wurden vom saarländischen SPD Wirtschaftsminister Heiko Maas Rufe nach einer Entlastung der Verbraucher laut. So fiel vor allem erst einmal eines auf – die SPD vertrat keine einheitliche Linie. Oppermann blieb schließlich nichts anderes übrig, als sich im Hinblick auf ein stimmiges SPD-Konzept auf die Formulierung „wir werden unsere Vorschläge hierzu noch konkretisieren“[26] zurückzuziehen. Insbesondere auf die Positionierung Krafts ertönte das Echo in der FDP und CSU, dass die Stromsteuer als Sofortmaßnahme gesenkt werden sollte. Bayerns Umweltminister Marcel Huber legte noch nach, indem er einen Wegfall der Umsatzbesteuerung der EEG-Umlage forderte.[27] Als Alternative zu Altmaiers Strompreis-Sicherung begann sich eine Allianz für einen solchen Steuersenkungsschritt zu bilden. Dabei konnte es nicht im Interesse der CDU-Spitze sein, dass sich diese Debatte verselbstständigte. Schließlich hatte sie sich mehrfach gegen einen solchen Schritt ausgesprochen.

Der Koalitionsausschuss, der am 31. Januar tagte, kam wie gerufen. Zwar wurden keine konkreten Beschlüsse zur Strompreisbremse gefasst, aber es wurde eine formale Ressortabstimmung zwischen BMU und BMWi verabredet. Altmaiers ‚Versäumnis‘ sollte nun quasi nachgeholt werden. Hinter den Kulissen sollte die Vielstimmigkeit, die sich in der Bundesregierung anbahnte, im Keim erstickt werden. Dazu wurde ein Fahrplan erarbeitet, der Zeit für einen internen Konsens bis zum 14. Februar vorsah. Dies war der Tag des Bund-Länder-Treffens, eine wichtige Wegmarke zum Energiegipfel am 21. März im Kanzleramt. Für die schwierigen Gespräche mit den Bundesländern sollte eine gemeinsame Linie gefunden werden. Hierzu ließ sich Patrick Döring, FDP-Generalsekretär, so vernehmen: „Zunächst einmal entnehme ich den Äußerungen von sozialdemokratischen Ministerpräsidenten, dass uns eher vorgeworfen wird, wir wären bei der Energiewende zu langsam. Insofern können wir uns eine Blockade des Bundesrats an dieser Stelle nicht vorstellen.“[28] Nur einen Tag später wurde das Konzept der Strompreisbremse politisch geadelt. Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte die Pläne Altmaiers „wertvoll, wichtig und gut.“[29] Die Kanzlerin signalisierte so deutlich ihre Unterstützung für ihren Bundesumweltminister. Dies sollte die politische Diskussion in eine Richtung lenken – ohne das Wort alternativlos zu verwenden.

Von Gegenkonzepten und Gegenwind

In eine ganz andere Richtung wollte die Opposition die Bundesregierung mit eigenen inhaltlichen Positionen drängen. Die SPD hatte nicht lange gebraucht, um ihre Kakophonie zu überwinden und sich neu zu sortieren. Die Sozialdemokraten machten den Aufschlag mit einer Forderung, die Mehrwertsteuereinnahmen, die aus der erhöhten EEG-Umlage resultierten, an die Verbraucher zurückzugeben. So sollten diese entlastet werden. Gabriel erklärte die Maßnahme zum Verhandlungsvorschlag für die Gespräche mit der Bundesregierung. Darüber hinaus versuchte der SPD-Vorsitzende einen Angriff auf die offene Flanke der Regierung zu führen, weil der Koalitionsgipfel ergebnislos zu Ende gegangen war. „Da geht es ja schon wieder los mit dem Streit in der Bundesregierung. Statt zu sagen, ob der Vorschlag von Herrn Altmaier die gemeinsame Position der Bundesregierung ist, wurde das Thema gerade mal wieder vertagt.“[30]

Auch wenn der Bundesumweltminister kurz darauf den SPD-Vorschlag als nicht zielführend abschmetterte, kam doch neuer Schwung in die Strompreisdebatte. Das lag weniger an den innovativen Forderungen der politischen Konkurrenz, sondern vielmehr an dem Koalitionspartner FDP. Entgegen seiner anders lautenden Bekundungen hatte es Philipp Rösler wohl doch geärgert, dass Altmaier ihn in der Strompreisdebatte vorgeführt hatte. Am 3. Februar wurde aus dem BMWi ein Papier an den Spiegel durchgestochen, das sich verheerend las. Die interne Bewertung des BMWi kam zu dem wenig schmeichelhaften Schluss, dass Altmaiers Strompreis-Sicherung nicht an den Fehlanreizen des EEG ansetze, sondern stattdessen „Scheinlösungen“ präferiere, die auch noch „erheblichen politischen Widerstand in den Ländern auslösen“ dürften. Zudem bestehe aufgrund des Vertrauensschutzes der Investoren rechtliche Bedenken gegen die Belastung von Bestandsanlagen. Es bestehe folglich kaum eine Aussicht auf eine Durchsetzbarkeit.[31]

Zweifellos war dies ein Dämpfer für Altmaier. Sollte Rösler nicht mitziehen, war der Entwurf so gut wie tot. Medial wurde dies genüsslich ausgeschlachtet. „Rösler torpediert Altmaiers Stromplan“ oder „Rösler lässt Altmaier abblitzen“ bestimmten die Schlagzeilen. Der Wind schien sich also gedreht zu haben. Parallel dazu wurden Stimmen aus den Unions-geführten Bundesländern laut, die den EEG-Soli kritisch sahen. So hielten etwa die Ministerpräsidentin Christina Lieberknecht aus Thüringen (hier wurden viele Solaranlagen gebaut) und Sprecher der CSU in Bayern (hier wurden viele Solaranlagen verbaut) die Maßnahme für schädlich.[32]

Zwar versuchte Altmaier in den nächsten Tagen im Angesicht dieses Gegenwindes demonstrative Zuversicht zu verbreiten, doch die gegnerischen Truppen hatten sich formiert. Auch Wirtschaftsverbände forderten nun eine Senkung der Stromsteuer anstelle der Strompreisbremse. Am 12. Februar komplettierten die Grünen mit einem Gegenvorschlag den Reigen der Alternativen. Ein Einfrieren der EEG-Umlage lehnten sie kategorisch ab, um die Investitionssicherheit bei den Erneuerbaren nicht zu gefährden. Im Gepäck war hingegen eine Absenkung der Windenergie-Vergütung. Die eigentliche Lösung der Grünen sah vor, die Industrieprivilegien massiv zu beschneiden. Der Fraktionsvorsitzender Jürgen Trittin erklärte dazu: „Zum Beispiel eine Pommesfabrik: Es wird nicht eine Pommes weniger geschnitzt, wenn die für ihren Strom bezahlen müssen. Und es wird kein Hähnchen weniger geschlachtet, wenn die dafür bezahlen müssen.“[33]

Politische Kalküle und Akteuerkonstellationen

2013 war ein Wahlkampfjahr und so schien es, als ob zu Beginn des Jahres Machtfragen stärker als sonst die Sachfragen überlagerten. Auf der einen Seite bestand in der EEG-Umlage-Frage ein manifester Problemdruck, da eine weiter steigende Umlage erwartet wurde. Das BMU ging bis 2014 mit einer Steigerung der EEG-Umlage auf 7 ct/ kWh aus – sollte die Politik untätig bleiben. Der Sache nach war der Zusammenhang eigentlich einfach: sinkt der Börsenstrompreis, steigt die EEG-Umlage. Über die umlagepflichtige Gesamtstrommenge ließe sich hier gegensteuern. Auf der anderen Seite waren die Stromkosten ein wichtiges Wahlkampfthema. Die Strompreisbremse hatte zum Ziel, die Kosten für die Verbraucher, die im Herbst 2013 auch Wähler sein würden, zu begrenzen und die Lasten der Energiewende ‚gerechter‘ zu verteilen.

Dabei eignet sich das Thema vor allem als Wahlkampfschlager, wenn die Wähler am Ende mehr Geld im Portmonee haben sollten. Dennoch war mit der Kostendiskussion auch die Akzeptanzfrage der Energiewende verbunden: Wann würden für Bevölkerung und Wirtschaft die Belastbarkeitsgrenze erreicht sein? Wann würden die ersten Stimmen laut werden, die die Energiewende verteufelten? Nichtsdestotrotz war es kein Zufall, dass in einem Wahljahr nicht ein Zeichen für die Wirtschaft gesetzt, sondern ein starkes Signal für die Verbraucher gesendet wurde. Dabei wurde Altmaier vorgeworfen, fachlich einen wenig fundierten Vorstoß unternommen zu haben. Die Unterstellung, die Strompreisbremse bremse auch den Ausbau der Erneuerbaren, war nicht nur politisch motiviert, sondern auch inhaltlich begründet.

Die politische Ausgangssituation stellte sich für das Kalkül Altmaiers so dar: wollte man die Strompreisbremse durchsetzen, war vor allem der Bundesrat kritisch; denn nur im Bundestag hatte Schwarz-Gelb eine eigene Mehrheit. Sollten sich Rösler und Altmaier also einigen können, sollte die Organisation dieser Mehrheit nur eine Formalie sein. Die Opposition hatte natürlich versucht, die Deutungshoheit in dieser Frage zu gewinnen und gleichzeitig sich als rot-grüne, handlungsfähige Alternative zum energiepolitischen Kurs der Bundesregierung zu präsentieren. Trotz einer grundsätzlichen Heterogenität der energiepolitischen Länderinteressen musste von Schwarz-Gelb die neuen Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat zur Kenntnis genommen werden. Nach der Niedersachsen-Wahl im Januar 2013 hatte Rot-Grün-(Rot) wieder die Mehrheit in der Länderkammer. Auch wenn das EEG nur ein Einspruchsgesetz ist, hatten die Bundesländer in der Vergangenheit stets gezeigt, wie wichtig ihnen Entscheidungen zur Energiewende waren. So hatten sie bei der Photovoltaik-Novelle des EEG im Mai 2012 dem damaligen Umweltminister Norbert Röttgen, gleichzeitig CDU-Spitzenkandidat in Nordrhein-Westfalen, nur wenige Tage vor der Landtagswahl einen empfindlichen Dämpfer verpasst, indem sie mit einer Zweidrittelmehrheit (!) den Vermittlungsausschuss anriefen. In einem Wahljahr standen die Zeichen erst recht auf Blockade. Mit Altmaiers Schachzug der Strompreisbremse wurde der politische rot-grüne Block im Bundestag und Bundesrat aufgesprengt. Zugespitzt formuliert erreichte der Minister dies, indem er allen politischen Akteuren etwas gab, was sie erreichen wollten, gleichzeitig aber auch etwas wegnahm. Somit wurden gleich mehrere Themen in der politischen Diskussion abgeräumt. Die Grünen standen für eine stärkere Belastung der Industrie, Altmaier schlug dies vor (wenn auch in deutlich geringerem Umfang). Die SPD stand für eine Entlastung der Verbraucher, Altmaier schlug dies vor. Gleichzeitig waren die Grünen aber gegen eine Beschneidung der Ökostrom-Privilegien, während Teile der SPD sich gegen eine Beschneidung der Industrie-Privilegien ausgesprochen hatten. Im Bundesrat personifizierte sich dieser oppositionsinterne Konflikt in Gestalt von Hannelore Kraft, Koordinatorin der A-Länder, und Winfried Kretschmann, dem einzigen grünen Ministerpräsidenten. Somit war die Strompreisbremse auch ein probates Mittel, einen Keil zwischen die Opposition zu treiben. Sollte sich die Opposition als Folge ihrer Spaltung auf eine Blockade zurückziehen, wären Tür und Tor für Schwarz-Gelb geöffnet, Kritik an dieser Verweigerungshaltung zu üben. Im Hinblick auf die Bundestagswahl könnte die Gelegenheit willkommen sein, SPD und Grüne in die Strompreistreiber-Ecke zu stellen.

Aber auch die FDP hatte in der Vergangenheit für Bezahlbarkeit und Wettbewerbsfähigkeit bei den Stromkosten geworben, Altmaier nahm somit auch seinem Koalitionspartner die Butter vom Brot. Er verhinderte, dass die FDP weiter ungezügelte Kritik an dem Unions-Kurs üben konnte und zwang sie, sich entweder klar gegen die Strompreisbremse zu stellen oder sich an sie zu binden. Ferner gab es nicht nur eine institutionelle Blockadehaltung. Vielmehr standen sich auch die weltanschaulichen und politischen Grundsätze bei der Förderung erneuerbarer Energien diametral gegenüber. Während die eine Seite im Verdacht stand, zu einem verträumten Ökofeudalismus zu neigen, wurde die andere Seite als Wirtschaftslobby und Büttel des Kapitals abgetan. Die gegenseitigen Zuschreibungen vertiefen den politischen Graben zwischen dem Vertrauensfluchtpunkt Markt und Staat. So wird rechts von der Mitte die 100-Prozent-erneuerbare-Energien-Welt als Illusion abgetan, als wirtschaftsferne Realitätsverweigerung, die letztlich zur breiten Deindustrialisierung führe. Zudem fände eine neue Umverteilung statt, von arm zu reich. So kam es dazu, dass die FDP versucht, in Fragen der Energiewende die Deutungshoheit über soziale Gerechtigkeit zu gewinnen. Hingegen besteht links von der Mitte ein ausgeprägter Argwohn gegenüber der Industrie. Die Privilegien der Erneuerbaren werden mit den Wettbewerbsverzerrungen in der Energiewirtschaft begründet, denn Kohle und Kernenergie haben in der Vergangenheit milliardenschwere Subventionen abgegriffen – obwohl sie Klima- und Umweltkiller sind. Hier wird kein anderer Weg gesehen, das Machtkartell, das politische und wirtschaftliche Kräfte eingegangen sind, aufzubrechen.

Manöver in einer Sackgasse

13. Februar: Philipp Rösler musste sich entscheiden. Würde er mit seinem Kabinettkollegen zu einer gemeinsamen Position finden? Am 14. Februar sollte das Bund-Länder-Treffen stattfinden. Altmaier, die Opposition und nicht zuletzt die Medien beobachteten Rösler mit Argusaugen. Konnte die Bundesregierung zu einer einheitlichen Linie finden? Rösler steckte in einem Dilemma. In einem Wahljahr hing von dieser Frage viel ab. Es ging auch um Imagefragen – sowohl für die FDP, als auch für den Bundeswirtschaftsminister persönlich. Rösler stand vor einer politischen Grunderwägung: Sollte die Strompreisbremse scheitern? Falls ja, wie ließe sich dies am intelligentesten organisieren, um nicht als Sündenbock dazustehen? Konnte Rösler, nachdem er sich öffentlich hinter seinen Kabinettskollegen gestellt hatte, eigentlich überhaupt noch sein Veto einlegen? Oder sollte er alles dafür tun, um deren Erfolg zu sichern? Hatte Altmaiers Konzept bei der Interessen-Gemengelage eigentlich überhaupt eine Aussicht auf Durchsetzbarkeit im Bundesrat? Es galt die politischen Realitäten zu beachten.

Rösler war nicht nur Wirtschaftsminister, sondern auch – durch die Niedersachsen-Wahl − frisch gestärkter FDP-Parteivorsitzender. Es ging hier auch um Themenprofilierung. Sollte der Wirtschaftsminister nicht bis zu Letzt die Industrieprivilegien verteidigen? Oder die Bezahlbarkeit der Energiewende für die Verbraucher und allen nicht privilegierten Unternehmen sichern? Gab es einen Weg, beides miteinander zu versöhnen? Rösler musste sich die Frage stellen, ob er ein Mittel finden konnte, die Zielkonflikte zu entflechten. Wie konnte man in einem Wahljahr in der Frage der Förderung der Ökoenergie für die FDP die besten Ausgangsbedingungen schaffen? Sollte der Fokus darauf liegen, eine Urforderung der FDP in der Strompreisdebatte, die Senkung der Stromsteuer, durchzudrücken? Sollte die FDP sich in dieser Frage mit der SPD gegen die Union verbünden? Welche Wirkungen würden sich auf die Schwarz-Gelbe Regierung entfalten? Oder sollte die Priorität auf der Abschaffung des EEG liegen, um ein Mengenmodell etablieren zu können? Konnte Rösler gar Altmaier in dieser Frage vor sich her treiben? Alle Karten lagen auf dem Tisch, konnte Rösler noch ein Ass aus dem Ärmel zaubern?